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The Complete Collection of Antiquities

Sir William Hamilton, britischer Gesandter in Neapel und Gatte der Emma Hart, war ein ernstzunehmender Vulkanologe, und er war ein Sammler antiker Vasen von Graden, dessen beide Collectionen heute zum Teil den Grundstock der Antikensammlung des British Museum bilden. Wilhelm Tischbein, Illustrator der zweiten Hamiltonschen Vasensarnmlung, erinnerte sich: "Einst sah ich ihn, er war eben vom Hofe gekommen, in voller Gala und mit dem großen Ordensband und Stern einen Korb voll Vasen tragen. Ein zerlumpter Lazzarone faßte das eine Öhr des Korbes, und der englische Minister das andere."
Seine erste Sammlung ließ Hamilton durch den selbsternannten Baron d'Hancarville 1767-76 in acht Bänden kommentieren und von einer Gruppe von Stechern aufmessen und bravourös illustrieren, womit er eine der Hauptleistungen der Buchillustration des 18. Jahrhunderts schuf. Schon vor Vollendung dieses buchkünstierisch wohl ambitioniertesten Antiken-Kataloges 1772 verkaufte der Sammler seine Collection an das British Museum. D'Hancarville, der eigentlich Pierre François Hugues heißende Abenteurer, Connoisseur und Projektemacher gehört dem Typus des in vielen Sätteln gerechten Autodidakten an, und so hoffte er durch die Kommentierung "seines" Vasenwerks, "Les Antiquités d'Hancarville", den Ruhm eines der großen Archäologen und Altertumskenner seiner Zeit zu erwerben. Um dies zu erreichen, mußte er freilich über die gestellte Aufgabe weit hinausgehen, mit anderen Worten: Sein Text wuchs sich zu einer Geschichte der antiken Skulptur aus, die durchaus wissenschaftsgeschichtlich beachtenswert bleibt. Die mangelnde Bezugnahme d’Hancarvilles auf die Objekte der Hamilton-Sammlung mag den Taschen-Verlag bewogen haben, bei seinem höchst opulenten Neudruck der Illustrationen zum Vasenwerk auf eben diesen Textteil zu verzichten, die Vasen dafür aber mit neuen, dem heutigen Forschungsstand angemessenen Legenden zu versehen, die nicht nur die gültige inhaltliche Deutung anstreben, sondern auch den jetzigen Standort der Objekte benennen, soweit dieser ermittelbar ist. (Bei etwa 200 Vasen gelang dies, etwa 100 weitere blieben unidentifizierbar).
Hamiltons Publikation war erklärtermaßen für Künstler bestimmt, und so reicht die Rezeption der Hamiltonschen Sammlung denn auch von John Flaxman, über Josiah Wedgwood und seine Manufaktur "Etruria", bis hinein in das Kunstgewerbe und die Porzellanherstellung des Klassizismus. Diesem Aspekt geht Sebastian Schütze in seinem einleitenden Essay nach, der auch das regionale und gesellschaftliche Umfeld klug umreißt, aus dem diese Höchstleistung der Buchkunst erwuchs. Sicherlich wird das Vorliegen dieses Neudrucks das Verfolgen weiterer Wirkungsstränge der Hamilton-Vasen erbringen, fordert der nunmehr leicht greifbare Band dazu doch geradezu heraus.
Madeleine Gisler-Huwiler, die den wissenschaftlichen Katalog der ersten Hamilton-Sammlung für das British Museum vorbereitet, gibt einen Überblick über das Schicksal der Sammlung und kommentiert prominente Stücke, so unter anderem natürlich auch die sogenannte "Hamilton-Vase". Sie gibt dem Leser auch Einblick in Herkunft, museales Schicksal und Rezeption der Sammlung. Wissenschaftlich ist das Buch benutzbar, wenngleich nicht immer mühelos. So fehlt leider ein Index, der die Standorte der Vasen angibt. Das Literaturverzeichnis nennt nur die direktest zum Thema gehörenden Veröffentlichungen. Beate Gruberts Bochumer Dissertation über Tischbeins graphische Antiken-Rezeption (die auch dem zweiten Hamiltonschen Vasenwerk gewidmet ist) fehlt ebenso wie Frances Haskells Aufsatz "Il barone d'Hancarville" (1989).
Vorrangig ist der Prachtband ein Augenschmaus, und als solcher kann er sich sehen lassen: dreispaltig und dreisprachig gedruckt, muß man ihn schultern. Die Haptik des alten Papiers wird optisch erfaßbar, Linien und Grate der Strichätzungen scheinen greifbar zu werden, fast wirken sie überdimensional vergrößert. Die Größe der Abbildungen läßt jedes Detail deutlich erkennbar werden. Auch das Lesebändchen hat entsprechendes Format und ist farblich abgestimmt. Da es sich um das Exemplar aus der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar handelt, das dem Neudruck als Vorlage diente, stellt sich die besorgte Frage ein, was aus dem Original geworden sein mag, das so prachtvoll verfielfältigt in die Welt hinausgeht?

Jörg Deuter
Schütze, Sebastian. Gisler, Madeleine: Prierre-François Hugues d'Hancarville - Antiquités. The Complete Collection of Antiquities from the Cabinet of Sir William Hamilton. 550 S., 460 fb. Abb. 44 x 29 cm. Gb., Taschen, Köln 2004. EUR 150,-
ISBN 3-8228-2195-0
 
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