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Renaissance der Gotik - Widerstand gegen die Staatsgewalt?

Die in diesem Buch versammelten Beiträge entstanden im Rahmen eines Symposiums, das sich mit der Frage beschäftigte, inwieweit und wie nachhaltig im 19. Jahrhundert der Kulturkampf und die Doktrinen zur neugotischen Kunst die Entscheidung der Künstler und Auftraggeber für diesen Stil prägten. Das Ende des Kulturkampfes hatte vor allem im katholischen Rheinland und besonders in Köln eine antipreussische Haltung zur Folge, was die Frage erlaubt, ob die dort besonders ausgeprägte Renaissance der Gotik als ein Widerstand gegen die Staatsgewalt gedeutet werden könnte. Doch genau beantwortet werden konnte diese Frage nicht, wenngleich sich ein Standortkonflikt zwischen dem Rheinland und damit der Metropole Köln gegenüber der Reichshauptstadt Berlin durchaus deutlich macht.
Diesen Konflikt im Genaueren untersucht Klaus Niehr in seinem Beitrag "Widerstand und Anpassung. Mittelalterliche Architektur als nationale Kunst zwischen Dombaufest und Reichsgründung". Niehr kommt zu dem Ergebnis, dass man zwar die Wurzeln der Gotik in Frankreich suchte und fand, dass man aber der Ansicht war, erst die Deutschen hätten sie zur besonderen Blüte getrieben hätten. Doch auch bei den Anhängern des Klassizismus tobte der Streit um die aktuelle Baupraxis, der nicht nur die Architekten, sondern die gesamte Wissenschaft beschäftigte.
Immerhin war das 19. Jahrhundert überall in Europa vom nationalen Gedanken erfaßt, der auch in vielen anderen Bereichen und nicht nur in der Wiederbelebung der Gotik seinen Niederschlag fand. Auf diese Weise geriet die aktuell gebaute Neugotik zwangsläufig zu einem Teil der Moderne und wurde eingebettet in die Frage nach dem "richtigen" Baustil schlechthin, um den es sich dann trefflich streiten ließ.
Karl-Heinz Tekath untersucht in seinem Beitrag "Katholiken nach dem Kulturkampf" den "Zwiespalt zwischen ultramontaner Subkultur und nationaler Integration" und kommt zu dem Schluß, dass den Katholiken weitestgehend die nationale Integration in den preussisch protestantisch geprägten Staat noch bis zum Beginn des ersten Weltkrieges versagt blieb. Erst dann gelang es ihnen, das Trauma der "Reichsfeindlichkeit" aufzugeben, und zwar so sehr, laut Tekath, dass sie, an Kaiser und Staat gefesselt, darüber sogar die Weimarer Republik verpaßten.
Ulrike Schubert betrachtet die Diskussionen um die Vollendung des Frankfurter Dom-Turms zwischen 1790 und 1905. Auf der einen Seite wollte man der in Deutschland einzigartigen Turm-Kuppel die im mittelalterlichen Riss A vorgesehene Spitze aufsetzen, andere forderten einen Turmhelm nach Freiburger, Kölner oder Straßburger Vorbild. Die Frage wurde nach dem Dom-Brand von 1867 akut, und Preußen, das Frankfurt 1866 annektiert hatte, spendete nicht nur großzügig, sondern machte auch Vorschriften. Der ehemals reichsfreien Stadt gelang jedoch ein geschickter Kompromiss.

Sybille Carmanns nimmt anschließend wieder die Neugotik Kölns in den Blick und untersucht das Phänomen der Darstellung des Glaubens. Diese Darstellungen bezog man nun verstärkt aus mittelalterlicher Zeit und damit bewußt aus der Zeit vor der Reformation und richtete sich mit der Parole gegen das protestantische Preußen, "daß die Baukunst wieder christlich [...] werden müsse". Entgegen kam den Kölnern die Begeisterung für den gerade stattfindenden Dombau, so dass sie die ästhetische Forderung erhoben, dass sich auch die in den Stadterweiterungen errichteten Neubauten müssten sich dem mittelalterlichen Umfeld anpassen. Mit der Wiederherstellung der kirchlichen Selbstverwaltung nach dem Ende des Kulturkampfes und zusammen mit einem wirtschaftlichen Aufschwung sowie einer wachsenden Bevölkerung waren damit auch die Rahmenbedingungen für ein neues Selbstbewußtsein geschaffen.
Einen Rückgriff auf Vertrautes beinhaltet auch der folgende Artikel von Jutta Buschmann. Sie untersucht das Werk von Ferdinand Langenberg (1849-1931), der als "Neugotiker" gegen die Kommerzialisierung christlicher Kunst anfocht. Jutta Buschmann greift in ihrem Artikel noch einmal explizit die Frage des Symposiums auf und stellt fest - wie auch die anderen bereits genannten Autoren mehr oder weniger deutlich -, dass man einen "Widerstand gegen die Staatsgewalt" im eigentlichen Sinne nirgends direkt greifen kann. Auch die Innenausstattungen folgten dem Programm einer vorgegebenen Architektur, und eine aufgeladene Ikonographie wurde zum probaten Mittel, religiöse Inhalte zu transportieren. Gleichzeitig galt für alle Künstler die Maxime handwerklicher Qualität in Verbindung mit eigener Innovation - wie dies auch anderswo bereits entstehende Kunstgewerbeschulen und später die Dombauhütten und am Ende auch das Bauhaus postulierten.
Harry Tummers nimmt die Altarretabel und Heiligenbilder der Werkstatt Langenberg aus dem niederländischen Goch in den Blick und zeigt, dass auch diese Entwürfe einem strengen theologischen Programm folgten und den Künstlern wenig Spielraum ließen. Dass die Arbeiten nicht nur auf regionales Interesse stießen, wird dadurch deutlich, dass Langenberg und seine Werkstatt weit über die Region hinaus bekannt und geschätzt wurde.
Der Bau der Mariensäule auf dem Aachener Rehmplatz (1882-1887) wird von Wolfgang Cortjaens als ein Beispiel für die "Katholische Öffentlichkeit und öffentlicher Raum in Aachen" untersucht. Er zeigt, dass der eher rückwärtsgewandte Aufbau und das Bildprogramm der Säule weniger mit Widerstand gegen eine Staatsgewalt zu tun hatte, als vielmehr ein Dokument steigenden Wohlstands und praktizierten Bürgerstolzes ist. So rühmte man die Säule anläßlich ihrer Enthüllung als "ein Werk, das den unverfälschten christlichen Geist des 13. Jahrhunderts zum vollendeten Ausdruck bringt, ohne die christlich denkenden Kinder des 19. Jahrhunderts zu beleidigen, weil es auch ihrer würdig ist."

Auch in der Goldschmiedekunst, so stellt Susanne Steffen fest, hat die Stilwahl nichts mit Widerstand gegen die Staatsgewalt zu tun. Vielmehr verwendet man alle nur möglichen Formen des Mittelalters, die geeignet scheinen, die meist immens teuren und aus privaten Taschen bezahlten Kirchengeräte üppig genug erscheinen zu lassen, um auf diese Weise genügend Akzeptanz in einer breiten Schicht der Bevölkerung weit ab von Berlin zu finden.
Ähnliches gilt auch für die Glasmalerei, wie Daniel Parello ausführt. Den rheinischen Katholiken gelang es nicht, "die Künste zu heben", wie Parello es ausdrückt, "vielmehr zeichne die reaktionäre Gesinnung der Kirche verantwortlich für die landauf landab vorherrschende Stilmonotonie".
Am Ende des Buches dürfen wir davon ausgehen, dass die Frage nach dem Widerstand gegen die Staatsgewalt mit einem klaren "Nein" beantwortet werden kann. Die Renaissance der Gotik scheint am Ende nur ein Versuch gewesen zu sein, dem Zeitgeist und seinen Machtstrukturen irgendwie eine Form zu geben. Widerstand in eine Baukunst zu gießen, hätte in der damaligen Zeit etwas mit demokratischem Selbstverständnis zu tun haben müssen, das sich in den vorliegenden Beiträgen aber nirgends greifen läßt. Aber vielleicht bietet das vorliegende Werk gerade deswegen eine gute Möglichkeit, die Renaissance der Gotik und damit das 19. Jahrhundert besser zu verstehen. Hätten die Autoren allerdings hier und da den Mut gefunden, die in ganz Europa spürbare politisch nationale Gesinnung deutlicher heraus zu arbeiten, wäre manche Erkenntnis, warum zum Beispiel auf das 19. Jahrhundert nicht nur zwei Weltkriege, sondern auch der Holocaust folgten, klarer geworden.


Gabriele Klempert
Schubert, Ulrike: Renaissance der Gotik - Widerstand gegen die Staatsgewalt. 2003. 203 S. Abb. 23 cm. EUR 16,-
ISBN 3-926245-61-1
 
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