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Deutsche Schnitzretabel

Die Habilitationsschrift von Norbert Wolf über frühe Deutsche Schnitzretabel aus dem Jahr 1992 konnte zehn Jahre später vom Deutschen Kunstverlag als gediegene, ein Desiderat der Forschung befriedigende und sofort nach Erscheinen zum Standardwerk gewordene Publikation herausgebracht werden. Beginnend mit dem ältesten erhaltenen Beispiel, dem Hochaltarretabel von Doberan hat der Autor 21 Denkmäler zunächst monographisch behandelt. Schwerpunktmäßig bilden Entstehungsgeschichte und/oder Provenienz, Beschreibung und Ikonographie die umfangreichsten Themenkomplexe jeden Altars. Beim Beispiel Doberan werden die in der Literatur vielfach übernommenen Thesen Harald Kellers bzw. Hans Wenzels, das Retabel habe seine genetische Wurzel im Reliquientresor, in Frage gestellt. Erhalten haben sich die meisten Beispiele in Norddeutschland und im Rheinland, während in Süddeutschland die spätmittelalterliche Tafelmalerei die frühen Beispiele verdrängt hat, sieht man von dem Hochaltar der Deutschordenskirche St. Jakob in Nürnberg einmal ab.
Im systematischen Teil werden Strukturmerkmale, darunter die unterschiedlichen formalen Kategorien der Retabel begrifflich definiert, vor allem aber die Herleitung der Retabelform untersucht. Wolf sieht Vorstufen und Parallelen zur verselbständigten Schaufront beispielsweise in auf dem Altar aufgestellten Reliquienschreinen und Einzelfiguren. Breiten Raum nimmt die Analyse der Bildprogramme ein, die unter mariologisch - ekklesiologischen, christologischen und hagiographischen Gesichtspunkten zusammengefaßt werden. Die Gruppe der nebeneinander thronenden Christus und Maria darf nicht nur als Inthronisation der Gottesmutter begriffen werden, vielmehr erscheint Maria als Braut nach der Interpretation des Hohen Liedes und zugleich als Vertreterin der Kirche gekrönt wird. Wolf sieht darin zurecht in der Marienkrönung eine ekklesiologische Sinnschicht, in der auch die Heiligenverehrung ihren Kontext erhält. Damit hat das Bildprogramm keine illustrative Aufgabe, sondern die Institution der Kirche zu repräsentieren und anschaulich zu vermitteln. Die Einbindung des Retabels in die Liturgie wird nicht nur durch Öffnen und Schließen der Flügel sinnfällig, sondern auch durch die in das Retabel eingefügten Relquienbüsten. Sie gehören wie die Figuren auch zu der repräsentativen liturgischen und rituellen Präsentation. Die Aufgaben der Schnitzretabeln, als die Frage nach Funktion und Gestalt, beschließt die Abhandlung.. Wolf sieht die Schaufronten letztlich, geprägt von Vorstellungen altgriechsicher Philosophie, als Vorwegnahme der himmlischen Schau.
Clemens Jöckle
Wolf, Norbert: Die deutschen Schnitzretabel des 14. Jahrhunderts. Anfänge. Aufgaben. Bedeutung. Deutscher Verlag f. Kunstwissenschaft, Berlin 2002. 411 S., 241 teilw. fb. Abb. Gb. Ln EUR 99,-
ISBN 3-87157-194-6
 
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