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Die Kelten in Mitteleuropa

Bücher über Kelten gibt es viele, vielleicht zu viele: "Das Rätsel der Kelten" (Katalog, 2002), "Caesar und Vercingetorix" (Studie, 2000), "Die Kelten. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart" oder "Die Kelten. 3000 Jahre europäische Kultur und Geschichte"(Gesamtdarstellung, 2003 und 2002), "Die Kelten" (Überblick, 2002), ja sogar Atlanten ("Die Zeit der Kelten. Ein Atlas"; 2002) und natürlich regionale Forschungen wie "Die Heuneburg-Außensiedlung. Befunde und Funde" (2000) oder "Die Kelten in der Schweiz" (2004). Gegen diese Fülle des von Keltologen Geleisteten hebt sich die als Sach-Bildband angekündigte Arbeit des Wissenschaftsjournalisten Martin Kuckenburg in bemerkenswerter Weise ab. "Die Kelten in Mitteleuropa" sind eines der besten und schönsten Bücher, welches der Konrad Theiss Verlag im Rahmen der Intensivierung seiner Buchproduktion archäologischer Ausrichtung in den letzten Jahren veröffentlichen konnte.
Zwar erschließt sich dieses Urteil nicht dem ersten Eindruck, da der zweispaltig gesetzte Band eine weitere sich im Klischee von der Rätselshaftigkeit der Kelten erschöpfende Darstellung suggeriert, doch zeigt die Lektüre bald, wie überlegt der Autor seine Inhalte auch im Layout umgesetzt hat. Das Verhältnis zwischen Text und Abbildung erweist sich als ein Amalgam, das bei der Lektüre eine innere Gestimmtheit auslöst, die der Beschäftigung mit den Kelten insofern adäquat ist, als sie die Erkenntnisse der Archäologen erlebbar werden läßt. Die Fragen, die sich bei Behandlung einer Geschichte der Kelten stellen, sind als wirklicher Gewinn der Lektüre dieses Buches zu werten. Der Autor nimmt seine Leser mit auf eine Reise in Europas keltische Vergangenheit, der die alte, heute noch gültige Zweiteilung in Hallstatt- und Latènezeit zu Grunde liegt, und während der sich auf fast schon spielerische Weise dem Leser ein Gesamtbild der keltischen Kultur einprägt, das auch künftig tragfähig bleiben wird. In Schule, Lehre und Freizeit dürfte diese Arbeit gleichermaßen nützlich sein.
Die Schlagworte der 15 Kapitel sind schnell genannt: Ursprünge, Hallstattzeit, Fürstensitze, Fürstengräber, Situlenkunst, Latènekultur, Kunst, Wanderungen, Bewaffnung, Oppida, "Die Kelten an der Schwelle zur Hochkultur" (S. 108-115), Religion, Gallischer Krieg und gallorömische Kultur. Positiv wirkt, dass der Autor die Fragen und Leistungen früher Archäologen - etwa René Joffroy (Mont Lassois), Wolfgang Kimmig (Heuneburg) oder Jörg Biel (Grab von Hochdorf) - würdigt, obgleich deren Ergebnisse, wie im Fall der so genannten Viereckschanzen, heute inzwischen durch zuweilen sensationelle neueste Forschungen überholt oder präzisiert worden sind. Doch wird gerade dadurch die Erforschung der keltischen Kultur - in der historischen Entwicklung der Keltologie in den letzten 200 Jahre - gut faßbar. Natürlich wird auch den Keltenfürst vom Glauberg angemessen behandelt. Auf diesem Hintergrund macht es tatsächlich Sinn, die Illustrationen des 19. Jahrhunderts, die eine heute anachronistische Aneignung und Glorifizierung keltischer Kultur dokumentieren, zu präsentieren. Und so ist die im Bezug auf die Kunsttradition der Kelten von Martin Kuckenburg getroffene Feststellung, dass alles dafür spricht, "dass das Weltbild dieses antiken Volkes auch ausgedehnte Bereiche jenseits der wahrnehmbaren Realität einschloss, und dass die Kelten das Diesseits eng mit diesen jenseitigen Welten verschränkt und verbunden sahen" (S. 77) voll und ganz aus einer Betrachtung der materiellen Zeugnisse gewonnen. Ausgesprochen aufschlußreich ist hier der Vergleich einer ornamental verzierten Bronzescheibe des 5. Jahrhunderts v. Chr. mit der ihr zu Grunde gelegten, überaus komplexen Zirkelkonstruktion.
Die Entscheidung, die Aussagen der antiken Autoren über Kelten in braunroter Schrifttype jeweils außen an den Rand der Seite neben den eigentlichen Text zu plazieren, macht Sinn und läßt deutlich werden, wie exakt - gemessen an den archäologischen Befunden - diese über die Kelten und deren Kultur berichteten. Eines freilich müssen sich die Leser des schönen Bandes angesichts der nur sehr spärlichen Aufnahmen spezieller Grabungssituationen im Bezug auf die vielen Abbildungen klar vor Augen halten: Daß die Fotografien von Keramik, Schmuck, Waffen und Skulpturen in Verbindung mit etlichen farbigen Rekonstruktionszeichnungen - wie bei archäologischen Publikationen üblich - das Bild einer vergangenen Wirklichkeit konstruieren, insofern als die Bildmotive "arrangiert" sind (vgl. S. 34, 38, 44, 65, 87, 102, 124, 152), andererseits aber, wie im Fall des berühmten Silberkessels von Gundestrup - "eine Bildergalerie zur keltischen Religion" (S. 129) -, durch die präzise Wiedergabe und sensible Interpretation viel Stoff für Diskussionen und Fragen bereit halten.

Matthias Mochner
Kuckenburg, Martin: Die Kelten in Mitteleuropa. 160 S., 170 meist fb. Abb., 29 cm. Hl. Theiss, Stuttgart 2004. EUR 34,90
ISBN 3-8062-1593-6
 
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