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Rex Imago Christi. Der Dom von Monreale

Es gibt Bücher, deren Botschaft man nur zur Hälfte versteht, manchmal überhaupt nicht, und die dennoch so spannend sind, dass man sich Seite für Seite mühevoll hindurchbeißen mag. Meist sind das wissenschaftliche Werke, d.h. Dissertationen oder, wie im vorliegenden Fall, eine Habilitationsschrift, in denen schwer verständlich formuliert wird, was auch einfacher zu sagen wäre. Auch wenn solche Arbeiten vornehmlich der Wissenschaft dienen, sollte man doch die Leser außerhalb der Fachwelt nicht vergessen. Ein solch überaus spannendes Werk ist das vorliegende Buch. Es ist die Analyse eines Bild- und Architekturprogramms, das so üppig wie geheimnisvoll ist, und das der normannische König Wilhelm II im Dom von Monreale auf Sizilien zwischen 1166 und 1177 verwirklichte. Mal mit Byzanz liebäugelnd, dann wieder mit der lateinischen Christenheit kooperierend, inszeniert Wilhelm II in der Sprache von Bildern, Prozessionen und liturgischen Abläufen sein Königtum, das in Form und Inhalt seinesgleichen sucht. Bis zur Häresie weitet sich sein königlicher Anspruch: König Wilhelm II als Gesalbter des Herrn, als Abbild Christi, als Zwilling des Gottessohnes.
Das Werk Dettelbachs beginnt mit einer kritischen Wissenschaftsgeschichte, gefolgt von Untersuchungen zur historischen Grammatik, die sich in Urkunden, Siegeln und Münzen des normannischen Königshauses niederschlägt. In diesem Kapitel widmet sich der Autor dem Selbstverständnis von Roger II und seinem Enkel Wilhelm II, dem letzten normannischen König Siziliens, sowie der Kirchenpolitik und Geschichte, insbesondere der gescheiterten Allianz mit Byzanz, der u.a. nach dem Bruch einer königlichen Verlobung und kurz bevorstehenden byzantinischen Hochzeit dann eine „lateinische“ Königshochzeit folgte.
Das 4. Kapitel mit dem leider nicht übersetzten Titel: "MONS REGALIS: LINGUA OPERIS SANCTAE MARIAE NOVAE", beschäftigt sich mit den Vorgängen rund um den Maria geweihten Dom und seiner Ausstattung. Wird eingangs die Gründungs- und Baugeschichte behandelt, folgen drei architektonische Schwerpunkte, die das Besondere des Monrealer Domes ausmachen: u.a. die auf das feinste ausgeklügelte Position und Gestaltung des Königsthrons, der Marmorlöwen und des Porphyrsarkophags, dessen Gestalt und Position alles bisher dagewesene übersteigen sollte.
Die Überschrift des sich anschließenden Kapitels „MONS REGALIS: LINGUA IMAGINUM ET FUNCTIONUM“ hat uns der Autor zwar nicht übersetzt, aber freundlicherweise auch in deutscher Sprache betitelt: Bildsprache und Zeremoniell. In diesem Kapitel wird es nicht nur besonders spannend, sondern auch noch komplizierter. Es erhält den 1. Preis für akademischen Sprachwirrwarr. Der Autor hat sich wohl von Wilhelm II anstecken lassen, denn auch dieser hat – wie wir am Ende des Buches schließen dürfen – so sehr um die Ecke gedacht, dass sein wirkliches Anliegen, dargestellt im Dom von Monreale, für keine der politischen oder gesellschaftlichen Interessen- und Machtgruppen ganz zu begreifen war und darum nirgendwo eine Fortsetzung fand. In dem Kapitel „Bildsprache und Zeremoniell“ geht es um das rhetorische Konzept, das dem Dom von Monreale zugrunde liegt, u.a. um die Umsetzung der neuen Artes-Lehren, die in Paris im wahrsten Sinne des Wortes „Schule“ machten und mit denen Wilhelm II. schon als junger Mann in Berührung kam. Dem Bildprogramm sollte die Funktion eines Vorschriftenkatalogs zukommen, deren Grundlagen Wilhelm II u.a. aus einer Schrift Hugos von St. Viktor bezogen hatte.
Der Autor analysiert die mit den üblichen Mitteln kaum zu erkennenden besonderen Erzählstrukturen der Monrealer Mosaiken: wer waren ihre Betrachter, worauf sollten sie hinweisen? Dabei tritt ein raffiniertes System zutage, das den Betrachter in das Bild lockt, in das Geschehen hineinziehen soll. Dazu dienen auch Gesten und Gebärden, die für die damalige Zeit eine Provokation waren. Allein schon ein gegen den Herrscher ausgestreckter Zeigefinger eines Boten war so „shocking“, dass man wenigstens auf den Goldhintergrund verzichtete. Diese Bildgestaltung war darauf ausgelegt, Betrachter aus den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen zu belehren und zum Staunen zu bringen, quasi eine Bildzeitung mit Feuilletonteil, deren Herausgeber Wilhelm II war. Bestanden die einfachen, schriftunkundigen Besucher des Domes aus Juden, Christen, Moslems und Heiden, wollte man den höfischen Adressaten mitteilen, nicht nur wer hier der König ist, sondern was der König ist, nämlich Rex imago Christi, das Abbild Christi! Doch abgesehen von den verschiedensten Provokationen war nicht nur das Bildprogramm so unverständlich, dass es niemand verstand, egal ob man arabisch, griechisch, hebräisch oder latein sprach. Auch die Analyse der Funktionen dürfte ähnliche Verwirrung gestiftet haben, offenbarte es doch ein höchst ungewöhnliches theologisches Programm.
Nach Fertigstellung des Domes 1177 ließ sich Wilhelm II. anläßlich seiner Hochzeit gleich ein zweites Mal krönen. Das war nichts neues, neu war nur, dass er sich ein zweites Mal auch salben ließ. Diese zweite Salbung machte Sinn, denn deutete sein Bild- und Funktionsprogramm bereits auf den Rex imago Christi hin, machte ihn die Salbung zum „Christus Domini“ zum höchsten Lehnsherrn und Stellvertreter Gottes.
Das Scheitern des gigantischen Programms von Wilhelm II. in Monreale hat nicht zur Warnung gereicht, denn bis heute findet es seine Nachahmer, die mehr denn je Bilder und Zeichen zu Symbolen werden lassen, die in der Lage sind, das kritische Denken zu verwirren, zu vernebeln und auszusetzen. Insofern ist Monreale hoch aktuell, und es wäre zu wünschen, dass erstens sich jemand fände, der dieses Buch mit fachlichem Sachverstand rezensiere und zweitens sich jemand fände, der es für die vielen Leser, die dieses Buch nicht verstehen „übersetzt“ und damit das Desaster von Hochmut und Selbstüberschätzung König Wilhelms II. sichtbar macht.
Dass der Dom von Monreale mit seinen Mosaiken und seiner Ausstattung fast vollständig bis heute erhalten blieb und nicht nach "der Wende" von politisch motivierten Bilderstürmern zerstört wurde, mag uns ein Zeichen sein, die Botschaft Monreales zu erkennen und lesbar (!) zu verbreiten.
Gabriele Klempert
Dittelbach, Thomas: Rex Imago Christi. Der Dom von Monreale - Bildsprachen und Zeremoniell in Mosaikkunst und Architektur. 452 S. 34 sw. u. 57 fb. Abb 24 cm. (Spätantike - Frühes Christentum - Byzanz. B 12) Gb., Reichert, Wiesbaden 2003. EUR 59,-
ISBN 3-89500-317-4   [L, Reichert]
 
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