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Pompeji. Untergang & Wiedergeburt

Pompeji ist mehr als eine Ruinenstadt, mehr als ein kunst- und kulturhistorisches Denkmal, mehr als eine wiederbelebte Erinnerung an antikes Leben und Schaffen. Pompeji ist eine offengelegte, nicht verstummende Botschaft an die Menschheit: Hier ist sie spürbar die leidvolle Nähe von Lebenslust, Angst und Tod. Davon zeugen nicht nur die „Flüchtlinge der Porta di Nocera“, die sich heute als Gipsabdrücke den jährlich zwei Millionen Schaulustigen in Pompeji präsentieren. Diesen Eindruck versinnbildlichen auch die vielfältigen, seit dem 18. Jahrhundert im Vermächtnis an Pompeji entstandenen Kunstwerke: Gemälde, Bücher, Nachbildungen in Museen, Filme, Fernsehproduktionen und nicht zuletzt Pompeji selbst.
Es ist diese Gesamtschau auf Geschichte, Wiederentdeckung, archäolgogische Schätze und deren künstlerische und philosophische Reflektionen in der Nachwelt, die dieses Buch von Dieter Bartetzko zu eiem faszinierenden Kunst- und Lesegenuss machen. Der bekannte F.A.Z.- Redakteur und promovierte Kunsthistoriker bietet hier eine sachlich fundierte, emotional ausgewogene, zudem sprachlich brillante und von Edgar Lissel gut bebilderte Ergänzung zu bisher erschienenen Pompeji-Büchern, unter denen Salvatore Ciro Nappo „Pompeji. Die versunkene Stadt“ (Karl Müller Verlag, Erlangen 1999) und „Pompeji“ herausgegeben von Filippo Coarelli (Hirmer, München 2002) erwähnenswert sind.
Was ausgegraben wurde dokumentiert, dass Pompeji nicht nur eine recht alte Stadt war ( ca. 7. Jhd. v. Chr. begründet); sie war auch eine sehr vitale Handels- und Hafenstadt, in der Römer und Samniten, Ägypter, Griechen, Juden und Etrusker lebten und arbeiteten.
Die Fotos veranschaulichen dieses multikulturelle Dasein in all seinen Facetten: Die Großbäckerei im Zentrum, der Fleischmarkt mit Fischverkaufsecke, die Garküche (Schenke des Placides) stehen für den Alltag. Anhand einzelner Portraits, wie dem des Lucius Caecilius Jucundus oder dem einer unbekannten Aristokratin, wird die pompejanische Gesellschaft beschrieben und darin integriert auch die Tendenzen und Stilweisen ihrer künstlerischen Reproduktion.
Die Tempelruinen, wie die des Apollontempels, die für Isis oder Asklepios, bilden den visuellen Hintergrund für die Ausführungen zu Religion und Kult in Pompeji. Die Reste von Wohnhäusern, die darin sichtbaren Fresken, Bodenmosaiken und Malereien, die Gartenanlagen, Spiegelgalerien und Peristyle erlauben einen Blick in die Privatbereiche der ausgelöschten Bewohner, wobei wiederum die kunstwissenschaftliche Interpretation bemerkenswert ist.
Von besonderem Reiz auch der “Streifzug durch die Baugeschichte Pompejis“, der die unterschiedlichen Baustile beleuchtet: Dorische Tempel und klassische dorische Kolonnaden, wie die am Foro Triangolare oder an den Stabianer Thermen, zeugen von der hier bewusst gepflegten griechisch- hellenistischen Tradition. Übrigens gelten die Stabianer Thermen, die man ins späte 6. Jhd. v. Chr. datiert, als die ältesten Thermen Italiens.
In die hellenistische Bauperiode gehören ferner das Theaterviertel mit Tempel, großem und kleinem Theater, dem sogenannten Odeon, und die Basilica, die in der 2. Hälfte des 2. Jhd. v. Cbr. entstand und damit eines der ältesten bekannten Beispiele dieses berühmten abendländischen Bautypus ist. Leider sind nur wenige äußere Reste erhalten, die innere Ausschmückung fehlt fast völlig. Mit dem Umbau des Forum im 1. Jhd. v. Chr. beginnt die römische Stilperiode, beeinflusst durch die historische Ernennung Pompejis zur römischen “Colonia“. Sichtbare Zeugnisse dafür sind das Amphitheater und die große Palästra.
Neben Pompeji findet auch das kleinere Herculaneum Erwähnung. Hier werden uns neben Villen, öffentlichen Gebäuden, Straßenanlagen erstaunlicherweise solche Unicate wie Holzmöbel und eine hölzerne Ahnenbüste offeriert, die, wie wir erfahren können, das einzig bisher überlieferte Original eines römischen Ahnenportraits dieser Art darstellt.
Es entspricht der Philosophie dieses Buches, auch die historischen und aktuellen Ausgrabungssünden, politische Fehlentscheidungen, Plünderungen oder fragwürdige wissenschaftliche Spekulationen anzuprangern, zumal die damit verursachten Schäden irreparabel sind. Und ebenso kritisch geht der Autor auch mit den verschiedenen Methoden um, mit denen man vielerorts versucht, Pompeji bzw. dessen sichtbare Zeugnisse transparent zu machen. Gemeint sind: Ausstellungen, Video- oder Computeranimationen, Nachbildungen oder bauliche Rekonstruktionen im Originalmaßstab als Erlebnisschauplätze. Pompeji wurde 1997 von der UNESCO zum Weltkulturerbe deklariert. Dieses auf Dauer zu bewahren, ist der unüberhörbare Appell aus diesem Buch, das im übrigen eine geglückte Hommage an diese Stadt darstellt.
Gisela Ewert
Bartetzko, Dieter: Pompeji. Untergang & Wiedergeburt. 2002. 250 S., Ill. 24 cm. Gb EUR[D] 30,-
ISBN 3-85493-056-9
 
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