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YOSHITOSHI – Hundert Ansichten des Mondes

Die Japaner sind’s!

Dahingehend könnte man den wohlbekannten Satz über die Griechen, deren Erbe als entscheidend für Europa angesehen wird, abwandeln. Im europäischen Diskurs des ausgehenden 19. Jh wurde Japan zu einer ”Art gegenwärtige Antike” verklärt (Thomas Pekar).
Die Holzschnittserie “Hundert Ansichten des Mondes” des japanischen Künstlers Tsukioka Yoshitoshi (1839-1892) ist eines jener Wunderwerke japanischer Kunst und Meisterschaft. Die Sammlung von hundert Farbholzschnitten liegt hier erstmals in einer Publikation eines westlichen Verlages vor. Ein Ereignis! Bas Verberk, Kurator für japanische Kunst am MOK, dem Museum für Ostasiatische Kunst Köln, ist der Autor des Buches, das zugleich als Katalog die gleichnamige Ausstellung (bis 9. Januar 2022) im MOK begleitete.
Der Mond hat in Ostasien verschiedenerlei Bedeutung. Bei Vollmond wurde der historische Buddha geboren, erleuchtet, starb und trat ins Nirvana ein. Diese religiöse Bedeutung wurde im japanischen Buddhismus durch seine Übernahme weiterer Mondgottheiten noch aufgefächert. Aus China übernahm man im 8. Jh das Mittherbstfest; der Kaiser opferte dem Mond. Der Adel machte das Fest zur Mondschau, man verfasste und rezitierte Gedichte, betrachtete auch das Mondlicht auf dem Wasser. Feinfühlige Anbetung und Kenntnis des Mondes und seiner Lichtspiele. In der japanischen Kunst symbolisiert der Mond vor allem die Flüchtigkeit des Lebens und ist dem Autor nach mit dem Konzept von mono no aware – ”Pathos der Dinge” verbunden. Das bringt ein tiefes Gefühl ”friedvoller Trauer” zum Ausdruck, das man eher wertschätzt als bedauert.
“Hundert Ansichten des Mondes”, das bedeutendste Werk Yoshitoshis, ist gleichsam ein Buch über die japanische Geschichte und Mythologie in Bildern. In großartigen Bildern, darüber gleich. Auch Szenen aus der Geschichte und Mythologie Chinas, dem großen Bruder Japans, hat der Künstler eingefügt. Da erscheinen Heerführer und Götter, liebende Frauen und Gespenster, fiktive Figuren aus der Literatur, Mönche und Helden…
Verberk präsentiert kenntnisreich und klar jedes einzelne Blatt der Serie. In den Kartuschen sind Gedichte über den Mond angeführt. Zum Inhalt des Bildes liefert der Autor reiche Information. Was der Leser-Betrachter dennoch nicht weiß, kann er anhand der Stichworte leicht in der Weltenzyklopädie Internet/Wikipedia nachschlagen und damit die Reise in die japanische Welt vertieft, träumend fortsetzen.
Yoshitoshi gehört zu den ganz großen Meistern des japanischen Holzschnitts. Er reicht in die ersten drei Jahrzehnte der Meiji-Reformzeit – die Umwandlung des alten Japan hin zu einer konstitutionellen Monarchie, und die damit verbundene teilweise brutale Industrialisierung – hinein und erlebte den allseitigen Einfluss, und auch Austausch von und mit Europa und der westlichen Welt. Diese Entwicklung brachte auch die Furcht vor einem Verlust der Identität des Landes mit sich und daher in der Kultur eine bewußte Hinwendung zum eigenen japanischen Erbe, zu den jahrtausendealten Traditionen. In diesem Kontext erscheint Yoshitoshi als der Praktiker, in diesem Sinne tätige Künstler, während Kakuso Okakura (1863-1913) der Verkünder und Theoretiker sein sollte. 1903 erscheint Okakuras “Ideals of the East. With Special Reference to the Art of Japan”, eine leidenschaftliche Verteidigung der Kultur und Kunst Asiens gegenüber der “Westernization”, ohne dabei den jahrhundertelangen Austausch zwischen Japan und Europa durch das Handelsmonopol der Holländer in Nagasaki zu unterschlagen.
Yoshitoshis Sensibilität für den Zeitgeist drückt sich vielleicht in den theatralischen Gesten der abgebildeten Figuren aus, die uns Europäern allerdings von Oper und Drama vertraut sind. Natürlich gibt es das Kabuki- und Nô-Theater usw., doch die grandiose Pose macht Eindruck. Darüberhinaus beeindrucken die großartigen Farben und sagenhaften Stoffe, ja “Kostüme” jeglicher Art. Die Farben der Drucke – die ersten Abzüge von den Druckstöcken nach Verberk – rufen nach über hundert Jahren ein einziges Staunen hervor. Satte Farben, großzügig aufgetragen, effektvoll und das alte Japan farbenstark vorführend (im Gegensatz etwa zur handkolorierten, blassen sog. Yokohama-Fotografie der 2. Hälfte des 19. Jh).
Aber auch das Feine, Zarte gestaltet Yoshitoshi anrührend. Da ist der in den See eintauchende feine Frauenfuss, ein Motiv, das zum Beispiel zeitgenössische schwedische Maler nachahmten. Und da ist das Blatt Nr. 88, das mich immer auf’s Neue berührt. “Der Mond am Kazan-Tempel” zeigt den 19-jährigen Kaiser Kazan (10. Jh) auf dem Weg zum endgültigen Eintritt in einen buddhistischen Tempel. Er war von dem mächtigen Fujiwara-Clan zum Rücktritt manipuliert worden. Über dem schwarzen Gewand und der adligen Kopfbedeckung des jungen Mannes liegt ein Schleier, durchsichtig und zart, vom Wind leicht bewegt; gefasst traurig schaut er im vollen Mondschein zur Seite…

Für den fremden Freund, der Englisch spricht, kann man auch die englische Ausgabe des Katalogs erwerben.

17.01.2022
Susanne Concha Emmrich
Hundert Ansichten des Mondes. Japanische Farbholzschnitte von Tsukioka Yoshitoshi. Ausst. Kat. Museum für Ostasiatische Kunst, Köln. Hrsg.: Verberk, Bas; Beitr.: Verberk, Bas; Schlombs, Adele. Deutsch. 200 S. 24 x 19 cm. Walther König Verlag, Köln 2021. EUR 35,00.
Englische Ausgabe: ISBN 978-3-7533-0087-0
ISBN 978-3-7533-0086-3
 
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