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Das antike RumÀnien

Dacia felix – das glĂŒckliche Dakien, heißt die neue Publikation des renommierten Althistorikers Kai Brodersen, die er dem antiken Dakien (große Teile des heutigen RumĂ€nien) in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt verlegt, widmet. Der Untertitel trĂ€gt dabei dem stets in seiner Geschichte mit den unterschiedlichsten Kulturen und EinflĂŒssen ringenden Landschaftsraum, der von den Karpaten und dem Schwarzen Meer seine weitgehend natĂŒrlichen Grenzen hat, Rechnung. Erfreulicherweise hat die WBG in diesem Jahr gleich zwei Titel in ihr reiches Angebot aufgenommen, die Dakien auch fĂŒr eine deutsche Leserschaft ins Blickfeld rĂŒcken.
Daker bezeichnet dabei einen Volksstamm, der spĂ€testens ab dem 5. Jh. v. Chr. im Gebiet des heutigen RumĂ€nien und Bulgarien ĂŒberliefert ist, und dessen Genese nicht absichernd geklĂ€rt ist. FĂŒr die GrĂŒndungsmythen des modernen RumĂ€nischen Staates spielt dieser Aspekt teils bis heute eine grundlegende Rolle, da man sich auf die Tradition eines dakischen Zentralstaates (S. 36) unter Burebista und Decebal berief und beruft. Es ist sicher auch eine StĂ€rke des vorliegenden Bandes, diese, in RumĂ€nien seit vielen Jahren kritisch gefĂŒhrte Diskussion, auch der deutschen Leserschaft vor Augen zu fĂŒhren (S. 31–38). Der Fokus des Bandes liegt jedoch vor allem auf dem 2.-3. Jh. n. Chr., also der Zeit kurz vor und kurz nach der römischen Eroberung durch Kaiser Trajan und der Installation einer Provinz, Dacia.
Nach einer kurzen EinfĂŒhrung in die Geografie des zu behandelnden Naturraumes (S. 9–11) stellt der Althistoriker kurz die wichtigsten Quellen vor, die ihm als Grundlage fĂŒr seine AusfĂŒhrungen in der vorliegenden Publikation dienten: ArchĂ€ologie (S. 12–14), Epigrafik (S. 14–20), Numismatik (S. 20–23), literarische Zeugnisse (S. 24–27) sowie ethnologische BezĂŒge (S. 27–30). Diese lange und umfassende Liste nĂ€hrt freilich die Spannung und lĂ€sst ein ausgewogenes, spannendes Buch erwarten. Diesen Spannungsbogen, dies kann man hier schon vermerken, kann K. Brodersen im weiteren Verlauf des Bandes jedoch leider nicht in GĂ€nze erfĂŒllen. Ganz in seinem Forschungsgebiet, der Alten Geschichte verhaftet, setzt er vorwiegend und nahezu ausschließlich auf die Vorstellung und Auswertung von Schriftquellen. Diese sind breitgestreut und reichen von zeitgenössischen MilitĂ€rdiploma, Meilensteinen, Holz-Wachs-TĂ€felchen und einer FĂŒlle antiker Historiographien und Beschreibungen. Da auch viele dieser alten Schriften leider nicht mehr als Originale und nur noch in AuszĂŒgen und Exzerpten in jĂŒngeren Texten ĂŒberliefert sind, vermag es K. Brodersen hier eine ganze FĂŒlle unterschiedlichster Gattungen und Textzeugen vor unseren Augen auszubreiten. So kommen Herodot, Jordanes, Caesar, Cassius Dio und Plinius d. J. zu Wort, um nur einige wenige Beispiele zu erwĂ€hnen. K. Brodersen spĂŒrt mit diesen Texten der spannenden und noch sehr schwer zu fassenden Ereignisgeschichte im Karpatenraum des 2.–3. Jh. n. Chr. nach. Diese Texte, dies ist bereits ein erster Problempunkt, der dem Autor allerdings nur allzu bewusst ist, stellen freilich eine eigene, besondere Sichtweise der römischen und griechischen Geschichtsschreiber und StaatsmĂ€nner dar, die selbstverstĂ€ndlich ihre GrĂŒnde fĂŒr die entsprechende Benennung und Darstellung der Fakten hatten. Die Daker, dies ist keine Überraschung, sind hĂ€ufig als kulturlose, ĂŒbertölpelte, vertragsbrechende Kultur dargestellt, die nicht mit der römischen Kulturnation mitzuhalten vermag.
Die Texte zeichnen ein spannungsreiches VerhĂ€ltnis zwischen den römischen Kaisern und den an den Außengrenzen lebenden StĂ€mmen, die gerade von römischer Seite zunĂ€chst erfolglos zu unterdrĂŒcken versucht werden. Dabei spielte fĂŒr die Römer neben der Einrichtung einer Pufferzone im Bereich der Außengrenzen auch der Rohstoffreichtum an Gold, Silber und Salz eine erhebliche Rolle (S. 174–179). Eine der charismatischen Figuren auf dakischer Seite scheint hierbei der König Decebal gewesen zu sein, ĂŒber den allerdings nur wenige Details und Einzelheiten vorliegen. Eines der zentralen Quellen, die TrajansĂ€ule, die sich auf dem Forum Romanum in Rom befindet, dient seit jeher als wichtige Quelle fĂŒr die Rekonstruktion der sogenannten Dakerkriege unter Kaiser Trajan, die schließlich mit der Gefangennahme und Selbsttötung Decebals und somit der Einrichtung der römischen Provinz Dacia 106 n. Chr. enden (S. 125–151). Interessant ist dabei, wie systematisch die Römer bei der Einrichtung dieser Provinz vorgehen, was sich nicht nur durch die MĂŒnzprĂ€gung (S. 151;) und den Ausbau eines Straßen- und StĂ€dtenetzes, einhergehend mit der Ansiedlung von Menschen – ist (S. 162–174). Wenngleich die Provinz hĂ€ufig in der Geschichtsschreibung der römischen Seite als satte Erfolgsstory prĂ€sentiert wird, kann Brodersen mit Hilfe der entsprechenden Zitate und Kontextualisierung sehr wohl zeigen, dass dies ein Ă€ußerst komplexes und schwieriges Unterfangen war. Gerade die innenpolitischen Streitigkeiten, die das römische Kernland im Zuge des ausgehenden 2. und 3. Jh. n. Chr. trafen, wirkten sich auf die Situation in den Provinzen aus und fĂŒhrten auch in Dacia dazu, dass recht bald die Soldaten wieder abgezogen und die Region unter Kaiser Aurelian (214–275 n. Chr.) erneut aufgegeben wurde (S. 198). Gerade unter dieser Maßgabe mag man auch den gewĂ€hlten Titel, Dacia Felix, unterschiedlich ausdeuten. K. Brodersen sieht zwar den Misserfolg auf römischer Seite, deutet allerdings die „stumme archĂ€ologische Evidenz“ dahingehend, dass es zu einer „kreativen Übernahme anderer „Kulturen“, ja Schaffung einer neuen „Kultur“ verholfen hat (S. 203) und somit ein tatsĂ€chlich ‚glĂŒckliche Dakien‘ entstanden ist. Ob dies nicht ein etwas zu pauschal und schnell gefĂ€lltes Urteil ist, mag die Feldforschung der nĂ€chsten Jahre zeigen.
Am Ende des Bandes bietet K. Brodersen eine kurze Liste von zehn wichtigen antiken StĂ€tten in RumĂ€nien (S. 205–210), die man sich um eine kurze Auflistung einiger wichtiger Museen erweitert gewĂŒnscht hĂ€tte. Die Quellenzusammenstellung macht jedem Interessierten das vertiefte Eintauchen in die spannende Welt Dakiens möglich, wĂ€hrend die zusammengestellte weiterfĂŒhrende Literatur (S. 217–218) sehr kurz ausfĂ€llt.
Als durchweg positiver Aspekt des vorliegenden Buches darf sicher das Heranziehen der Texte in ihrem originalen Wortlaut angesehen werden, was somit eine reiche Schrift(!)-Quellensammlung darstellt. Das zusĂ€tzlich gebotene Material ist jedoch sicher ausbaufĂ€hig. So bietet der im Mittelteil befindliche Tafelteil zwar einige schöne Farbabbildungen wichtiger Fundorte und Funde, sowie einer Karte, doch wĂ€re es sicher hilfreich gewesen die vielen zitierten Ethnien wie etwa die Basterner, Roxolanen etc. unter Verweis auf die Schwierigkeit ihrer Verortung auch mit Hilfe von Kartenmaterial etwas besser fĂŒr die Leser greifbar zu machen.
So gut der Aspekt der Aufbereitung der schriftlichen Quellen ist, so sehr vermisst man die von K. Brodersen, hĂ€ufig zitierten „stummen“ Zeugen, die archĂ€ologischen Funde und Befunde. Zwar werden durchaus MĂŒnzhorte und kurze Referenzen auf beschriftete TongefĂ€ĂŸe etc. gegeben, doch ist das bislang dokumentierte und der – wie der Autor selbst unermĂŒdlich betont durch Notgrabungen etc. kontinuierlich steigende Schatz an Fundmaterial - bestehend aus Siedlungen, Nekropolen und Einzelfunden so viel grĂ¶ĂŸer und gewichtiger. Des Weiteren kommt diesen Zeugnissen umso grĂ¶ĂŸere Bedeutung zu, als es die einzigen archĂ€ologischen Hinterlassenschaften der Daker sind, die auf uns gekommen sind. Es erscheint daher umso befremdlicher, dass K. Brodersen gerade nicht aus diesem Schatz schöpft. Ein im Vorwort kurz gefĂŒhrter Verweis auf die Arbeit des kĂŒrzlich verstorbenen rumĂ€nischen ArchĂ€ologen N. Gudea, der, gemeinsam mit T. LobĂŒscher einen Teil dieser Zeugnisse 2006 in deutscher Sprache zugĂ€nglich aufbereitet hat, ersetzt dies nur ansatzweise. Ein ausgewogenes VerhĂ€ltnis, wie es etwa einst S. Rieckhoff bei ihrer Arbeit zu den Kelten gelungen ist, hĂ€tte den Dakern sicherlich gleichfalls zugestanden und hĂ€tte ermöglicht viele der bislang noch bestehenden Unsicherheiten und Schwierigkeiten einer breiten Leserschaft vor Augen zu fĂŒhren.

17.09.2020
Robert Kuhn
Dacia felix. Das antike RumÀnien im Brennpunkt der Kulturen. Brodersen, Kai. 240 S. 25 fb. Abb. 22 x 15 cm. Gb. WBG Verlag, Darmstadt 2020. EUR 40,00.
ISBN 978-3-8053-5059-4
 
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