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Von Konstantin bis Karl dem Großen - Das Werden Europas

Von Europa ist derzeit oft und ausführlich die Rede, im Namen Europas wird gar ein neues Geld kreiert, von anderen politischen, wirtschaftlichen oder demographischen Problemen zu schweigen. Umso eher dürfte zu begreifen sein, dass die Frage neu gestellt wird, was denn Europa ist, woher es kommt, wofür es steht. Nicht zuletzt Geschichts- und Kulturwissenschaftler bemühen sich immer neu, in Publikationen oder künstlerischen Ausstellungen, Europa den Menschen, vor allem den Europäern selber nahezubringen. Das hier angezeigte, voluminöse Buch des Münchner Historikers Friedrich Prinz gibt im Titel mit Kaiser Konstantin bzw. Karl dem Großen die chronologischen Eckpunkte der behandelten Epoche an, von der ausgehenden Antike also bis zum Beginn des eigentlichen Mittelalters reichend. Der Untertitel
"Entfaltung und Wandel Europas" unterstellt zugleich, dass mit dem Vorhaben Voraussetzungen und Rahmenbedingungen ins Auge gefaßt werden, die einen für die Weltgeschichte wichtigen geographischen, politischen und geistesgeschichtlichen Rahmen füllen können. Die Darlegung führt von der fundamental prägenden griechischen Kultur über die Bildung des römischen Imperiums in die Zeit, als mit dem Eindringen "junger Völker" und der integrativen geistigen Kraft des Christentums die Welt eben dieses Imperiums neue Akzentuierung und neue, ins hohe Mittelalter führende Kräfte gewinnt. Es ist ein Gemeinplatz, wenn von der Werdezeit Europas als "historischen Erdteils" gesagt wird, es sei Ergebnis einer langen und dramatischen Geschichte gewesen.
Nach eigenem Eingeständnis bemüht sich der Verfasser nicht um eine Schilderung von historischen Ereignissen im Raster ihrer Abfolge, sondern um essayhafte Einblicke in Leben und Geist der Epoche in sinnvoll geordneten Zusammenhängen. In den verschiedenen Kapiteln werden gleichsam "Schneisen" durch die verschiedenen Bereiche geschlagen, unter ausgewählten Aspekten. Einem grundlegenden Abschnitt folgen thematisch speziellere Darstellungen, individuell facettiert in historischen Vorgängen und nicht zuletzt in Würdigung tragender Personen. Im Understatement wird dieses methodische Vorgehen als eine Art "Glasperlenspiel" charakterisiert, mit kaleidoskopisch bunten, erhellenden Vor- und Rücksprüngen. Dass im Spiegel der Geschehnisse historische "calamitates" und die ihnen anhängenden, oft falschen Lorbeerkränze weniger Aufmerksamkeit finden als die komplizierten geistigen Bemühungen, ist im positiven Sinne wohl zu verstehen. Gewiß aber gehört auch vielfaches Scheitern zum Werden Europas.
Wesentliche Kapitel befassen sich mit den "neuen Völkern", vor allem mit dem Frankenreich als Nukleus künftiger Entwicklungen, im gleichen Zusammenhang sodann auch mit der Bindekraft der christlichen Religion bzw. Kirche. Dazu gehört vor allem die von der Mission ausgehende zivilisatorische und kulturelle Schubkraft, - Probleme, die dem Verfasser seit seinem Erstling (1965) über das "Frühe Mönchtum im Frankenreich" besonders nahe stehen. Schließlich führt die Darstellung über Fragen frühmittelalterlicher Lebensformen und materieller Kultur der Zeit zur "Renaissance" unter Karl dem Großen als Gipfel der Ära, mit Ausblicken, die "Vorboten genuiner europäischer Geisteskultur" bereits erkennen lassen.
Phänomene der künstlerischen Kultur spielen in dem angezeigten Buche eine eher bescheidene Rolle, – abgesehen von eingefügten Farbwiedergaben einiger karolingischer Kunstwerke. Immerhin wird man es doch auch im Kontext der bedeutenden Frühmittelalterausstellungen und der damit verbundenen Publikationen sehen dürfen, angefangen vom "Werdenden Abendland" (Essen 1956) über "Karl den Große" (Aachen 1965) bis zu „Europas Mitte um 1000" (Berlin 2001) und "Otto der Große" (Magdeburg 2001). Aus der bedeutungsvollen Entfaltung der Jahrhunderte zwischen Konstantin und Karl dem Großen zur christlich geprägten Hochkultur des abendländischen Mittelalters mag verwundern, wenn der Verfasser sein Buch gewissermaßen in einem skeptischen Rückblick ausklingen läßt, mit der auf das Frühmittelalter bezogenen augustinischen Hoffnung, dass "Gott auch auf krummen Zeilen gerade schreiben kann".


Victor H. Elbern
Prinz, Friedrich: Von Konstantin zu Karl dem Grossen. Das Werden Europas. 480 S., Abb.. Gb Artemis & Winkler, Düsseldorf 2000. Euro 34,90
ISBN 3-538-07112-8
 
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