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Schwedisches Interieurs vom 17. bis 19. Jahrhundert. Rustikal und raffiniert zugleich.

Wenn wir überhaupt etwas mit Schwedens Kultur im späteren 18. Jahrhundert assoziieren, wird es wohl die Ermordung Gustaf III. sein, "Un ballo in maschera", als Musikdrama von Verdi, und Bellmans erotisch-bacchantische Lieder in Klabunds und Zuckmayers Übersetzungen. Aber schwedische Interieurs werden kaum zu unseren Assoziationen gehören. Schwedenmöbel als Vorboten eines neuen Stils?
Lars und Ursula Sjöberg haben, zusammen mit der Photografin Ingalill Snitt, einen großzügig illustrierten Bildband über dieses selbst Spezialisten unbekannte Gebiet geschaffen, der uns visuell in diese Räume eintreten läßt. Dass es dabei nicht blieb, verbirgt die Qualifikation des Autorenpaares. Lars Sjöberg ist Kustos am Nationalmuseet Stockhol, Ursula Sjöberg promovierte über die schwedische Architektur des Klassizismus. Wir besuchen mit ihnen Linnés Heim Hammarby, wandfüllend ausgekleidet mit bloß aufgeklebten Kupferstichen aus seiner Botanik und über dem Schlafzimmereingang der lateinische Sinnspruch: "Lebe ohne Schuld, denn Gott ist bei Dir." Linné baute sein Haus eben vor dem Aufkommen des gustavianischen Stils, der eine Synthese zwischen dem auch in Schweden bewegten Rokoko und den besonders Schweden adäquaten aufkommenden klassizistischen Formen herstellte. "Das Ergebnis war ordentlich," (S. 67) schreiben die Autoren in nordischem understatement. Es war mehr als das: Eine Melange aus Rustikalität und Raffinement.
Die Texte scheinen gelegentlich genauso zurückgenommen wie die Interieurs, die sie beschreiben. Ist es Verknappung aus Not oder Noblesse? Und so schöpfen die kenntnisreichen Bildkommentare die stilistische Brillanz der highlights, die sie auch vorstellen, nicht immer voll aus. Über den Festsaal des Herrenhauses in Åkerö erfahren wir, dass er "als erster dem gustavianischen Stil zugeordnet" werden kann (S. 49). Das kann nicht alles sein. Immerhin stammt jener Saal von 1756! Der Architekt Hårleman soll ihn zusammen mit dem Maler Fridsberg geschaffen haben. Mag sein. Aber woher bezogen beide jenen avantgardistischen stilistischen Standard, den der Raum repräsentiert? Svend Eriksen hat Piranesis Kommilitonen Le Lorrain als inspirierende Kraft dieses Innenraumes ermittelt, Allan Braham hat ihn als solchen international geltend gemacht, und Rudolf Zeitler konstatiert für jeden leicht auffindbar, dass der Saal das älteste erhaltene klassizistische Interieur der Welt ist. In Schweden hält man sympathischerweise nicht viel von Superlativen, aber mit dieser gewaltigen Überlieferungsschicht hätten die Autoren sich auseinandersetzen müssen, gerade wenn sie es anders sehen.
Beeindruckend bleibt die Liebe zum Detail der Alltagskultur, die Kunsthistorikern selten eigen ist. Man merkt, dass es Ursula Sjöberg als Expertin eines Stockholmer Auktionshauses mit Mobiliar- und Accessoire sehr genau nimmt, auch wenn diese noch so unspektakulär sind.
Die asketische Einfachheit des alltäglichen Lebens dominiert in diesen Bildern und die Lebensspuren wurden glücklicherweise meistens (noch?) nicht durch nivellierende Restaurierung verwischt. In solchen Räumen können "Fredman"-Bellmans Lieder erklungen, aber auch die Komplottpläne von 1792 geschmiedet worden sein.



Jörg Deuter
Lars Sjöberg; Ursula Sjöberg. Das schwedische Interieur. 192 S., 200 fb. Abb., 25 cm, HC, 2000. Euro 35,-
ISBN 3-89441-488-X
 
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