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Das gotische Gewölbe

In zehn Kapiteln entfalten die Autoren ein weitgespanntes Kompendium des europäischen Gewölbebaus, das sich inzwischen zu einem unerläßlichen Standardwerk für jeden Kunstgeschichtler, Denkmalpfleger oder Architekten entpuppt hat. Ausgehend von differenzierenden Betrachtungen zum Steingewölbebau zeigen sie die Vielfalt der Wölbideen auf, wobei sie sich auf die klassischen Aufgaben der Kunstgeschichte konzentrieren, nämlich beschreiben, vergleichen und interpretieren.. Die Epoche der Gotik wird dabei auf ihre Voraussetzungen hin untersucht und entsprechend die Entwicklungslinien aufgezeigt, aus denen sich die Gewölbetypen herauskristallisierten. Unter dem Aspekt der "Gestalt und Funktion des Kreuzgewölbes" werden die römischen Ursprünge dieser Wölbeform anhand der Schriften Vitruvs als Ingenieurleistungen beschrieben, die praktischem Nutzen gehorchen und raumklimatische Aufgaben erfüllen. (S. 9) und sich als Resultat der Durchdringung von zwei sich im rechten Winkel schneidender halbzylindrischer Tonnen gleicher Größe erweisen (S. 10). Aufschlußreiche Konstruktionszeichnungen erläutern jeweils den erklärenden, erfreulich klar geschriebenen Text, in dem an die Konstruktion und Tragverhalten des Kreuzgewölbes sich die Beschreibung der unterschiedlichen Varianten der römischen Konstruktion in der Romanik anschließen.
Eine bedeutende Rolle nimmt dabei das Gewölbe des Speyerer Domes ein. Der Speyerer Dom nimmt auch eine Vorreiterrolle bei der Entstehung des Kreuzrippengewölbes ein, wie sie als Bandrippen dort in den Querhäusern des Speyerer Domes gefunden werden und sich von dort aus am Oberrhein verbreiten. (S. 27). Auch die kleinen südenglischen Apsisgewölbe werden als Vorboten der großen Rippenbautradition im Normannenstaat erkannt (S. 30) und schließlich die für die Ausprägung des gotischen Gewölbebauten wesentlichen Errungenschaften in der Ile- de- France erläutert. Über die Bautechnische Konstruktion, der ein eigenes Kapitel gewidmet ist (S. 55) werden die Gewölbe der französichen Kathedralen behandelt. Sechsteilige Gewölbe, queroblonge Wölbformen, offene Strebewerke, die verdichteten Rippenfiguren der Chor- und Vierungsgewölbe werden in den zahlreichen Varianten anhand der einzelnen Kathedralen analysiert. Besondres die Schlußsteine erweisen sich Das figurierte Gewölbe wurde zum Kennzeichen der Spätgotik und entfaltet sich in unterschiedlichsten europäischen Spielarten. (S. 183 ff) bis zu den komplizierten Konstruktionen der Parler beispielsweise am Prager Domchor (S.228 ff). Die Wege der deutschen Sondergotik mit ihren jochgebundenen Sternen, Netzgewölben, von Böhmen über den Mittelrhein bis Sachsen und Danzig (S. 233 ff) werden als Geben und Nehmen im Rahmen einer vielschichtigen Kommunkation der im Netzgewölbebau führenden Landschaften herausgestellt. Zu "bizarrer Linienakrobatik" (S. 259 ff) gelangten die Architekten beim Bau von Luft und Bogenrippengewölben. Madern Gerthener oder Hans von Burghausen haben erstmals Bogenrippen bei Wölbungen von Kleinsträumen verwandt. Bis zu Benedikt Rieds Wladislawsaal im Hradschin zu Prag oder den Schleifensternen in der Annenkirche von Annaberg oder den zweischichtigen Gewölben in Augsburgs Fuggerkapelle oder der Grabkapelle in der Schloßkirche von Meisenheim an der Nahe reicht die Gestalktungsmöglichkeit dieser Wölbeform. Astwerk und Rutenwerk (S. 268)ff sowie Zellengewölbe ergänzen diese Gestaltungsmöglichkeiten. Hinsichtlich der Formenvielfalt können in der Spätgotik französische oder spanische Kirche nicht mit den deutschen Sonderwegen mithalten. Doch sind die komplizierten Stern- und Dreistrahlvarianten über asymmetrischen Räumen (S, 281ff) zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Troyes beispielsweise neben der zunehmenden Vermehrung des bauplastischen Dekors charakteristisch für französische Kirchen. Diese Gewölbe gehen nahtlos in die Renaissance über, so daß weder der Beginn gotischen Gewölbes noch der Endpunkt exakt fixiert werden können.
Ein ausführlicher wissenschaftlicher Apparat, ein erläuterndes Glossar der wichtigsten Fachbegriffe und ein ausführliches Literaturverzeichnis, Personen- und Ortsregister schließen den Band ab. Der Text ist sachlich und informativ geschrieben und liest sich bei der fachbezogenen Materie trotzdem ausgesprochen angenehm. 356 sehr gute schwarz- weiß- Abbildungen machen jede Aussage in den Texten nacvhvollziehbar, Die Gliederung läßt auch ein selektives Einsteigen in den Text zu, so daß das Buch nicht nur einen grandiosen Überblick bietet, sondern auch sehr präzise Sachauskünfte zu speziellen Fragen sich rasch auffinden lassen. Ein Glückwunsch an die Autoren und den Verlag für ein wichtiges und großartiges Werk, das für künftige Überblicksdarstellungen Maßstäbe gesetzt hat.
Clemens Jöckle
Norbert Nußbaum -Sabine Lepsky: Das gotische Gewölbe, eine Geschichte seiner Form und Konstruktion. 2000. 424 S., 356 Abb., 27 cm. HC, , DM 148,-
ISBN 3-422-06278-5
 
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