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Athanasius Kircher’s Theatre of the world

Athanasius Kircher (1602-1680) war zu seiner Zeit einer der wichtigsten Gelehrten und Wissensvermittler, ein Universalist nach Anspruch und Bedeutung, dabei befördert und – sagen wir es freundlich – kanalisiert durch die katholische Kirche, zu deren mächtigster Organisation er selbst gehörte: den Jesuiten. Im Hinblick auf die kirchenkonforme Organisation des Weltwissens – eine Organisation, die in Form von gelehrten Büchern erfolgte – war Kircher ein Großmeister. Seine dutzenden Publikationen befassten sich mit nahezu sämtlichen Aspekten der Schöpfung: dem Kosmos, der Mathematik, dem Menschen, der Natur und der Heilslehre, der antiken Mythologie, der Bibel und der Musik.
Von der Musik aus war auch der Autor Joscelyn Godwin auf Kircher gestoßen: er arbeitet an der New Yorker Colgate University als Musikprofessor und befasste sich gleichsam nebenbei mit dem ideellen Umfeld der ihn interessierenden Kompositionen. Sein erstes Buch über Kircher, zu dem seither ganze Regalmeter publiziert worden sind, stammt von 1979 und trägt den Titel „A renaissance Man and the Quest for Lost Knowledge“. Im vorliegenden, zweiten Kircherbuch stellt Godwin seinen Helden auf originelle Weise vor: Er zerlegt Kirchers Publikationen und gliedert sie nach Themenfeldern, um sie in kurzen, essayistisch aufgefassten Kapiteln mit reichliche Illustrationen abzuhandeln.
Es beginnt – kurzweilig, weil aus heutiger Sicht kurios – mit der „missverstandenen Antike“, Kirchers Begeisterung für historische Inschriften und seine Versuche, Hieroglyphen, arabische, aramäische und koptische Texte zu entziffern und zu erschließen. Es folgt die „erhaltene Antike“, ein Kompendium der Kunstschätze, Tempel, Skulpturen von Ägypten bis Rom, gekoppelt an Rekonstruktionsversuche. Interessanterweise beschränkt sich Kircher dabei nicht auf Pyramiden oder die Apotheose des Homer auf dem Parnass, sondern beschäftigt sich (und damit ist man im Kapitel der „imaginierten Antike“) intensiv auch mit der Arche Noah und dem Turm von Babel. Kircher selbst lieferte dabei immer den Text – wir sehen in Godwins Buch aber natürlich in erster Linie die Stiche, die diesen Text illustrieren und auf diese Weise jene Suggestionskraft entfalten, von denen die Publikationen damals lebten, aber eben auch der Band von Godwin.
Allein Noahs Arche. Zunächst wird ein Plan gezeigt, der verdeutlicht, dass Noah die Tiere analog zu einer zoologisch-wissenschaftlichen Aufteilung der Arten in die Arche sortierte. In einem zweiten Blatt sieht man den Bau der Arche, dann die fertige Konstruktion (die wie die Lagerhalle einer gigantischen Eierlegebatterie aussieht), dann die Sintflut, schließlich die Rettung. Höhepunkt der Illustrationsfolge ist ein Schnitt durch die beladene Arche. Man blickt in Dutzende von kistenartigen Volieren, denen die Vorderklappen abgenommen sind. Drinnen stecken Hunde, Katzen, Vögel, Pferde, Esel, Widder, aber auch Futter, Wasser und Gerätschaften, die man offenbar zum Ausmisten benötigt. Ein wunderbarer Realismus trifft hier auf biblische Mythologie und künstlerische Phantasie.
So geht es fort. Im Kapitel „Feuer und Wasser“ werden Kirchers Vorstellungen, wie die Welt zusammengehalten wird, diskutiert: Magnetismus, Vulkane, Planeten – auf den Bildern sind Explosionen, Erosionen, unterirdische Flüsse zu sehen. „Musik“ ist ein Kompendium der Instrumente, aber auch der Harmonien und damit der Proportionen. Dann gibt es zwei Abschnitte über Maschinen, etwa solche, die man braucht, um Obelisken aufzustellen oder Fernrohre, Windmühlen, Uhren, Kompasse. Alles ist gesammelt, verzeichnet, geordnet, kartographiert – auch die Erde selbst, wie ein Kapitel zur Geographie offenbart.
Keine Frage, wären deutsche gelehrte Bücher über Kircher nicht ohne geistige Akrobatik von der Methodendiskussion bis zur proklamierten Bildwissenschaft ausgekommen. Godwin hat da andere Interessen: Sein Metier ist es vielmehr, eine im Grunde hochkomplexe, ohne Vorwissen kaum verstehbare Materie spannend und unterhaltsam aufzuarbeiten. Dass ihm dies gelingt, daran mag kein Zweifel sein. Und dass er dabei kritisch ist, seinem Gegenstand nicht auf den Leim geht, sondern die jesuitischen – und damit wissenschafts- und religionspolitischen – Absichten hinterfragt, macht das Buch erstrecht lesenswert. Die gesamte Einleitung, die sich mit Kirchers Werdegang vom Novizen zur barocken Celebrity befasst, erörtert das Verhältnis von Wissenschaft und Kirche, und macht mit dem Astronom und Physikus Galileo Galilei und dessen Ächtung durch den Papst eine leicht nachvollziehbare Folie für das Leben und Werk Kirchers auf. Auch wenn sich dieser Mann in bis dahin ungeahnter Weise mit den Dingen der Schöpfung befasste, um ebendieser auf die Schliche zu kommen, lag es außerhalb seiner Möglichkeit, die geltenden Doktrinen der Kirche in Frage zu stellen. Damit freilich war auch dem intellektuellen Kosmos eines Genies vom Format Kircher, den uns Godwin in seinem Buch so eindrucksvoll und lesenswert auffächert, eine klare Grenze gesetzt.

15.04.2015

Christian Welzbacher
Joscelyn Godwin: Athanasius Kircher’s Theatre of the world. London, New York, Thames and Hudson 2015. Englisch. 304 S. zahlr. Abb. Geb. Britische Pfund 29,95. EUR ca. 42,00
Bestellung E-Mail: sales@thameshudson.co.uk
ISBN 978-0-500-29174-0
 
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