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Im städtischen Bad vor 500 Jahren

Beim vorliegenden Werk handelt es sich um eine Studie zum Badewesen des 16. Jahrhunderts, die, so suggeriert der Untertitel, regional sehr begrenzt ist: Das städtische Bad im alten Tirol steht im Fokus der Arbeit. Und selbst dieser regionale Hinweis ist schon erweitert: Herr Büchner, emeritierter Geschichtsprofessor aus Innsbruck, baut seine Untersuchung sogar allein auf Archivalien zum Badewesen der Stadt Rattenberg auf, wobei er neben der Architektur des Bades vor allem Informationen zu den Biographien der hier tätigen Bader des 16. Jahrhunderts zusammentragen konnte. Somit sind die real gesichteten Quellen sogar noch enger gefasst als der Untertitel prophezeit. Muss nun der Leser befürchten – wie es übrigens die Rezensentin selber tat – die Lektüre der Studie könne für das eigene Interesse – im vorliegenden Fall das Interesse am Badewesen der frühen Neuzeit im deutschsprachigen Raum – aufgrund der Regionalität keine Relevanz entfalten? Der kritische Blick in die Arbeit entkräftet schnell solcherlei Befürchtungen. Büchners Studie räumt mit vielen Vorurteilen, die die Kulturgeschichten zum Bad der frühen Neuzeit durchziehen – genannt seien hier die Vorstellung des Badehauses als Ort sexueller Zügellosigkeit und Keimzelle der großen Epidemien wie Syphilis und Pest – gründlich auf und vermag dieses gerade dadurch, dass das Leben um ein Badehaus – so umfassend es die Quellenlage zulässt – beispielhaft dargestellt wird.
Das Buch ist dabei in zwei Teile aufgeteilt: Zu Beginn steht die Revision der heutigen Erkenntnisse zum frühneuzeitlichen Bad. Hier werden die verschiedenen Badetypen, die es zu dieser Zeit gibt, nämlich das Schwitzbad, Thermalbad und Wannenbad, vorgestellt und ihre Verbreitung in der Bevölkerung beschrieben. Die zeitgenössische Beurteilung der Badeformen, die moralischen und hygienischen Bedenken der studierten Ärzteschaft gegenüber dem Schwitzbad, und die Veränderung und soziale Ausdifferenzierung im Badewesen des 16. Jahrhunderts kommen dabei genauso zur Sprache wie die mannigfaltigen Gründe für die Ausbildung der Trockenhygiene in der Oberschicht. Der Ausblick in die Geschichte des Badewesens bis ins 19. Jahrhundert wird gewagt und der Autor schafft es meistenteils meisterlich (und für die Bäderliteratur ungewöhnlich klar), seine distanzierte Position auf seinen Gegenstand zu wahren, ohne dabei den Fokus auf das für die breite Bevölkerungsschicht relevante und geläufigem Schwitzbad zu verlieren. Bereits in diesem lesenswerten Übersichtsteil kommen daher schon dessen architektonischen Einrichtung und der üblichen Benutzungs- und Funktionsweise zur Sprache.
Der Leser erfährt nun besonders im zweiten Teil des Buches am Beispiel des Bades der Stadt Rattenberg alles weitere zum städtischen Bad und Schwitzbad und der hier betriebenen hygienischen und medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Die Aufgaben und Pflichten des Baders kommen dabei zur Sprache ebenso wie die strenge Kontrolle seines Berufes durch die städtische Gemeinschaft und die soziale Schichtung sowie die Aufgaben des übrigen Badepersonals. Das Bad wird als sozialer Ort erlebbar und zwar nicht nur durch die sich versammelnden Badenden, sondern auch durch die präsente Obrigkeit in dieser Institution: So wurde im städtischen Bad ungelerntes Personal beschäftigt und die Stadt selber griff über den Rat intensiv in das Badewesen ein, zum Beispiel, indem Reiberinnen und Bademägde direkt von der Stadt angestellt und der Bader jährlich neu unter Vertrag genommen wurde. Bei jeder Neuverpflichtung wurden Missstände beschrieben über die der Autor auch die Charaktere der Bader, nicht selten weinselige Herren aus der Unterschicht, plastisch herausarbeitete. So begegnet der Leser hier einem Berufszweig, der die Arbeit am menschlichen Körper als Handwerk, ohne akademischen Hintergrund, und trotz der individuell aufscheinenden Abgründe in den Persönlichkeiten der einzelnen Bader mit wohl einiger Kenntnis betrieb. Das Buch liefert somit mehr Informationen als erwartet: Ja, das Badewesen wird plastisch dargestellt, aber auch der Alltag des 16. Jahrhunderts und die sozialen Kontrollmechanismen in einer Stadt kommen zur Sprache, so, dass ein lebendiges Bild von Badhaus, Bader und Stadt in der frühen Neuzeit entsteht.

27. 8. 2014
Vera Herzog
Im städtischen Bad vor 500 Jahren. Badhaus, Bader und Badegäste im alten Tirol. Büchner, Robert. 192 S. 84 fb. Abb. 24 x 17 cm. Gb. Böhlau Verlag, Köln 2013. EUR 35,00. CHF 46,90
ISBN 978-3-205-79509-4
 
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