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Andreas Schlüter und das barocke Berlin

Es ist durchaus selten, dass man die Historizität, also die Zeitgebundenheit eines Buches bereits bei einer druckfrischen Publikation spürt. Hier ist es der Fall. Aus jeder Pore, ja aus dem ganzen Projekt quillt das verbohrte Berliner Kulturestablishment der Jetztzeit, das, sekundiert durch das selbsterklärte Expertentum aus Landes- und Bundespolitik, ein Schloß wiederaufbaut, das wie nichts anderes Sinnbild jenes monströsen Militarismus war, der in den Ersten, später in den Zweiten Weltkrieg führte. Dass die Publikation „Andreas Schlüter und das barocke Berlin“ – Katalog zur Ausstellung mit dem dümmlichen Slogan „Schloß Bau Meister“ – just in jenem Jahr kommt, da im Strudel des Weltkriegsgedenkens versinken ist kein Zufall. Hie geschichtsgeil, da vergangenheitsvergessen, beide Pole haben sich von je angezogen und bestimmen auch heute das historische Bewusstsein, das sich im Extrem verausgabt, Nuance, Widersprüchlichkeit und Ironie aber vergisst.
Soweit so gut. So klar, um die Position zu verdeutlichen, von der aus der Rezensent sein Urteil sucht. Denn was kann der arme Andreas Schlüter für unsere Zeit?
Zunächst lässt sich feststellen, dass Schlüter im Zuge der Schloßrekonstruktion überhaupt erst wiederentdeckt wird – zum zweiten Mal „wieder“, denn das wurde er schon einmal um 1880, als der wortgewaltige Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt den Barock vor dem bis dato als höchste Stillage rangierenden Klassizismus rettete. Gurlitt war es, der den genialen Schinkel gegen den angeblich weitaus genialeren Schlüter ausspielte, den Älteren aus der Versenkung holte, um den Jüngeren in seiner preußisch-künstlerischen Einmaligkeit zu relativieren, ihn gar als Episode abzutun – denn der Enkel Schlüters, ein Mann namens Wallot, hatte damals gerade einen Entwurf gefertigt, der das eben erst entdeckte barock-preußische ins deutsch-nationale überführte (um den kleinstaatlich-preußischen Schinkelgeist zu überwinden): gemeint ist der Reichstag.
Schlüter war, das muß man also festhalten, bereits frühzeitig ein instrumentalisierter Künstler. Er ist es noch heute, da ihm die zweite Wiederentdeckung droht. Superlative allerorten – vor allem im Hinblick auf das zerstörte Hauptwerk Berliner Schloß, das wir Heutige nicht kennen (insofern lässt sich leicht etwas behaupten) und – leider – auch nie kennenlernen werden, denn perdu ist perdu und Rekonstruktion ist Rekonstruktion. Schlüter selbst wird damit zur grandiosen Behauptung. Dabei ist es tatsächlich schrecklich, dass wir diese Behauptung niemals mehr überprüfen können. Denn das, was wir von ihm als authentisch sehen und bestaunen können, lässt Größe ahnen. Die Masken der sterbenden Krieger im zu Tode restaurierten Berliner Zeughaus Unter der Linden: die Erhabenheit dieser Skulpturen bringt den Betrachter zum Erschauern. Das heute im Ehrenhof von Schloß Charlottenburg aufgestellte Reiterstandbild des Großen Kurfürsten: eine perfekte Adaption des französischen Repräsentationsstils (bis hin zum einstigen Aufstellungsort auf der langen Brücke, ganz nach Pariser Art), stadtbildprägend, anmutig, kraftvoll. Doch darüber hinaus wird es dünne. Die Werke dieses verheißungsvollen Doppeltalents (Bildhauer und Architekt), der über Danzig nach Berlin kam und in St. Petersburg endete sie sind zumeist zerstört.
Der Katalog also – eine seriöse Schwarte im repräsentativen Format, mit schönen Bildern, ordentlichem Layout, oft zu deskriptiven statt kritisch-würdigenden Exponattexten –, den der renommierte Münchner Verlag Hirmer hier vorlegt (beflügelt vom Sponsoring diverser Institutionen), muß mit der misslichen Schlütersituation auskommen. Er tut es, indem er in mehr als 20 Aufsätzen Schlüters Oeuvre detailgenau und akribisch untersucht, dies im politisch-repräsentativen Kontext einer Zeit, in der Berlin als Residenz und Brandenburg-Preußen als Ganzes nach den Nachwirkungen des Dreißigjährigen Kriegs erst allmählich zu sich selbst fand – machtpolitisch, wirtschaftlich, menschlich, moralisch. Um sich also über das Berlin der Zeit um 1700 zu informieren ist der Band durchaus hilfreich.
Es fällt gleichwohl auf, dass die Autoren den Blickwinkel nur vorsichtig weiten, um durch den beherzten Vergleich mit der internationalen Kulturentwicklung der Zeit – vor allem das tonangebende Frankreich, aber auch die wichtige Referenz Italien, hier vor allem Rom – nicht allzu stark ausreizen, damit Berlin nicht ganz so piefig (und Schlüter nicht ganz so einsam) dasteht, wie man es sich wohl denken muss. So gründlich und akribisch, auch fachmännisch und liebevoll das Katalogunterfangen daher sein mag wirkt es daher doch nur wie der neuerliche Versuch, zu zeigen dass Berlin vor der Schinkelzeit doch auch schon „was“ dargestellt habe – wobei diese Bemühungen erst vor dem Hintergrund der Schloßrekonstruktion richtig plausibel werden. So viel Aufwand für ein derart schmales, weitgehend unbekanntes, hauptsächlich zerstörtes Ouevre – das kann nur politisch motiviert sein.
Und so ist der hier präsentierte Schlüter – leider, leider und nochmals leider, leider – einer der Schloßrekonstrukteure und Moralisten, die den Abriß des lange vor der Erfindung der DDR schlichtweg als lästigen Klotz gescholtenen Schlosses empört als „Barbarei“ abtun und jetzt ihren alten Kaiser Willem wieder haben wollen. Bevor der kommt kriegen sie jetzt auf über 500 Seiten ihren alten Schlüter. Und an diesem hängt dann tatsächlich mehr als ein bisschen der Geist des 1870/71-Revanchismus, wie ihn der neubarocke Cornelius Gurlitt ausposaunt hat. Zeitgeist auf allen Ebenen. Zeitgeist auch Anno Heute.
PS. Der Fairness halber sollte man jedem Steuerzahler, der auf Gedeih und Verderb das Schloß mitfinanziert, einen solchen Katalog nach Hause schicken. Mit persönlicher Widmung von Andreas Schlüter, unterfertigt von Wilhelm Boddien.

03.07.2014
Christian Welzbacher
Andreas Schlüter und das barocke Berlin. Beiträge H. E. Böhm, B. Buczynski, R. Deckers, S. Evers, T. Fischbacher, D. Fleischer, C. Guinomet, H. G. Hannesen, G. Hinterkeuser, S. Hüneke, F.-E. Keller, H.-U. Kessler, J. Kloss-Weber, E. Leuschner, B. W. Lindemann, S. Neuhäuser, Y. Stuhlemmer, P. Zitzlsperger. 540 S. 494 meist fb. Abb. 24 x 30 cm. Gb. Hirmer Verlag, München 2014. EUR 49,90.
ISBN 978-3-7774-2199-5
 
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