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Die Wittelsbacher und Europa - Kulturtransfer am frühneuzeitlichen Hof

Eva-Bettina Krems’ kunsthistorische Habilitationsschrift „Die Wittelsbacher und Europa. Kulturtransfer am frühneuzeitlichen Hof“ verlässt den klassischen Bereich der Kunstgeschichte als ästhetische, auf das Objekt bezogene Wissenschaft zugunsten einer historisch-soziologischen Perspektive. Die in der architekturgeschichtlichen Arbeit untersuchten Objekte, die Innenarchitektur wittelsbacherischen Residenzen und Schlösser, erscheinen dabei zunächst zahlenmäßig überschaubar: Es ist die Residenz der bayerischen Kurfürsten, noch spezifischer die Veränderungen in der Raumausstattung und Raumfolge im Appartement der Kurfürstin und des Kurfürsten über drei Generationen, von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis in die 1730er Jahre, sowie einzelne Ausstattungsdetails der im Umfeld von München liegenden Schlösser Dachau, Nymphenburg und Schleißheim, anhand derer Krems ihre Thesen entwickelt. Die Themen, die an diesen wenigen Objekten abgehandelt werden, sind jedoch umfassend: Es geht darum, ein in der Forschung weit verbreitetes Stereotyp, nämlich die zunehmende Dominanz des Vorbildes Versailles gegenüber zuvor rezipierten italienischen Einflüssen für die architektonische Raumausstattung und das Hofleben der Wittelsbacher unter Kurfürst Max Emanuel zu widerlegen. Denn dieses Stereotyp wird weitgreifend interpretiert, indem die Forschung eine Abhängigkeit der höfischen Kultur der bayerischen Kurfürsten annimmt, der Krems jedoch widerspricht: Die Wittelsbacher hätten ein eigenständiges Repräsentationsmodell entwickelt, so ihre Vermutung. Und nicht nur das: Die Wittelsbacher Dynastie in Bayern steht hier als einer der größten Höfe des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation stellvertretend für die übrigen Kleinstaaten des Reiches. Der Umgang mit den kulturellen Errungenschaften einer anderen Nation für die Selbstdarstellung im Reich wird in Krems’ Arbeit anhand Bayerns exemplarisch dargestellt.

Die Studie ist in drei Bereiche untergliedert:
Der erste Teil ist sehr ausführlich und stellt die Methodik der Autorin in Abgrenzung zur bisherigen Forschung vor. Wichtig ist dabei die Definition der Begriffe „Modell“ und „Kulturtransfer“. Die Autorin versteht Kulturtransfer nämlich als methodisches Konzept, als eine Alternative zu einem einfachen Vergleich. Drei Aspekte will sie in diesem Zusammenhang untersuchen: Die Übernahmen kultureller französischer oder italienischer Gewohnheiten im zeremoniellen Bereich, in der Raumkonzeption der Gemächer der Regenten und in den Empfangsgewohnheiten der Fürsten in Bayern. Die Referenzkultur wird damit nicht auf der Ebene der äußeren Erscheinung, sondern als ein Modell aus gesellschaftlichen Gewohnheiten und Konventionen verstanden, die sich ganz im Sinne Norbert Elias’ in der Architektur spiegele. Inwieweit eine solch umfassende Modelladaptation in Bayern stattfindet, liegt im Interessenschwerpunkt der Autorin.
Der zweite Teil referiert den zeitgenössischen Blick auf den Wittelsbacher Hof, um dessen Bedeutung vorzustellen, aber auch die differenzierte Sichtweise der Zeitgenossen auf das höfische Leben und die vorgestellten Räume dem heutigen Leser vorzuführen.
Der dritte Teil, die eigentliche Untersuchung am architektonischen Objekt, das hier zunächst anhand von Plänen, Beschreibungen und anderen Archivalien rekonstruiert werden muss, beginnt in der Mitte der Arbeit. Es wird dabei der Lebensraum der Wittelsbacher im ständigen Abgleich mit den drei Referenzhöfen, dem Turiner, dem Versailler und dem Wiener, beschrieben.

Ergebnis der facettenreichen Arbeit ist die angestrebte Differenzierung des Forschungsstereotyps einer unreflektierten, modischen Orientierung des bayerischen Hofes an den Vorbildern Versailles und Italien. Krems schafft es, das höfische Leben der Wittelsbacher in seinen historisch gewachsenen Gewohnheiten darzustellen und genau zu fassen, wieweit man Übernahmen anderer höfischer Gewohnheiten zuließ, beziehungsweise eigene Neuerungen entwickelte, wie etwa das Einbeziehen des Galerieraumes in den Audienzbereich. Dabei überwogen das Beibehalten von Traditionen und das Entwickeln eines eigenen, spezifisch wittelsbacherischen Raumkonzepts. Nur wenige Neuerungen kamen über drei Wege nach Bayern: Einmal durch Heirat, hier besonders im Falle Henriette Adelaides, dann durch Erfahrungen des Kurfürsten mit dem Leben anderer Höfe, hier besonders Max Emanuel, dessen Leben sich durch eine nicht immer gewollte Mobilität auszeichnete und durch bewusste Orientierung an kaiserlichen Hof in Wien, wie zum Beispiel bei der Einführung von Festtagen in Wiener Tradition, den „Galatagen“. Ein Kulturtransfer im umfassenden Sinne gab es jedoch nicht. Oft waren die Übernahmen rein modischer Art, in Form von Raumausstattung oder neumodischer Raumgestaltung, wie die Einführung des Alkoven unter Henriette Adelaide, ohne jedoch Änderung in den Lebensgewohnheiten der bayerischen Kurfürsten zu bewirken. Vor allem gab es keinen wirklichen Kulturtransfer mit Frankreich, das allein als Produktlieferant fungierte. Die Anbringung französischer Ausstattungselemente in den Räumen der Kurfürsten, wie Spiegel oder Tapeten, und der Besitz dieser Luxusartikel demonstrierte die Exklusivität der Wittelsbacher in Abgrenzung zum bayerischen Adel und ihren erlesenen Geschmack.

Krems’ Studie zeigt, dass Kunstgeschichte auch ohne einen ästhetischen Anspruch funktionieren und lesenswert sein kann. Doch was für die inhaltliche Arbeit gilt, kann auf die äußere Gestaltung des Buches nicht einfach übertragen werden: Das Buch ist ohne graphische Liebe gestaltet und leider überhaupt nicht attraktiv. Es ist doch ein wenig beschämend, dass der Verlag, der den Druck dieses Buches durch Druckkostenzuschüsse sicherlich finanziell abgesichert hatte, nicht ein wenig Geld für einen Grafiker investiert, um einer ansprechenden Arbeit auch ein ansprechendes Aussehen zu verleihen.

27.04.2013
Vera Herzog
Krems, Eva-Bettina: Die Wittelsbacher und Europa. Kulturtransfer am frühneuzeitlichen Hof. (= Studien zur Kunst 25). 374 S., 82 Abb. 24 x 17 cm, Gb. Böhlau Verlag. Wien, Köln, Weimar 2012, EUR 49,90 CHF 66,90
ISBN 978-3-412-20810-3
 
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