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Des Königs Knabe. Friedrich der Große und Antinous

Eine lesenswerte und mit mancherlei bedenkenswerten Einfällen und Hinweisen gespickte Erzählung als Nachtrag zum 300. Todestag des großen preußischen Königs hat der Autor vorlegen können.

Jede aufgefundene bedeutende Statue der Antike hat ihre monographische Würdigung gefunden, in der auch die Geschichte ihres Weges an den heutigen Aufbewahrungsort samt des damit einhergehenden Benennungs- und Interpretationswandels nachzulesen ist. Der Berliner sog. „Betende Knabe" - eine um 300 v. Chr. gefertigte Bronzestatue aus Rhodos - erhielt mit dieser Neuerscheinung ihre fünfte Würdigung. Die früheste, nachdem sie Museumsbesitz wurde – Eduard Gerhard, „1. Zum Erzbild des Adoranten.“ In: Denkmäler, Forschungen und Berichte als Fortsetzung der Archäologischen Zeitung herausgegeben von Eduard Gerhard, No. 202, Jahrgang XXIII, Bd. 17, Berlin 1865, S. 121 – 123, - nennt der Autor nicht.

In dieser neuesten Monographie von Fischbacher wird die Geschichte zweimal berichtet. Einmal ausführlich mit allen erreichbaren zugehörigen Dokumenten als Beleg für die Umstände jeder dieser Stationen von Venedig (1503) bis Berlin (1747/1830) auf den Seiten 17 - 141. Ein zweites Mal auf das Faktische reduziert auf den Seiten 143 – 153. Dort mag der Leser, der sich mit den Details nicht aufhalten möchte, sich rasch einen Überblick zu verschaffen. Ein ausführliche vierteilige Bibliographie (S. 181-198), ein Abbildungsverzeichnis (S. 199) und ein Namensverzeichnis (S. 201-208) bilden den Abschluss.

Fischbacher beginnt mit der Geschichte der Wanderung des Fundstückes von Rhodos nach Wien. Darin erfährt der Leser einige Neuigkeiten zur Station in Paris (S. 36 – 39), wobei es um den Verkauf der zwischenzeitlich um die beiden Arme ergänzten, hier namenlosen, Statue aus dem Nachlass Foucquets durch dessen Sohn, Louis, Marquis de Belle-Isle, geht. Knapper fällt die Erzählung zur nächsten Station in Wien beim Prinzen Eugen (S. 39-43) und Joseph Wenzel von Liechtenstein S. 43-44) aus. In beiden Sammlungen blieb die Statue namenlos, wird aber vom Verfasser erstmals als Ikone für Homosexualität des ersten Erwerbers apostrophiert, obwohl in beiden Fällen weiterhin Unklarheit wegen fehlender Dokumente über Benennung, Aufbewahrungsort und Kontext besteht.
Im Weiteren zeichnet sich diese erste, ab hier detailliertere Erzählung dadurch aus, dass in ihr die bisher relativ knapp behandelte Geschichte der Ankaufsverhandlungen durch Friedrich II. ausführlicher dargelegt und im Einzelnen belegt wird (S. 65 ff). Beim Lesen kann man verfolgen, wie sich herausstellt, dass Geschehnisse während des 1. (1740–42) und 2. (1744-45) Schlesischen Krieges unmittelbar territoriale Besitztümer des Eigentümers der Bronzestatue – Prinz Joseph Wenzel von Liechtenstein – betrafen.
Das hatte zur Folge, dass beide Seiten nicht weiterhin über beliebig hohe Summen verfügen konnten: „Auch dies bestätigt die Erkenntnis aus dem vorangegangenen Kapitel, dass der Verkauf zur Erlangung der Wohlgesonnenheit Friedrich II. Diente und nur in einem Handel um Territorien erklärlich ist.“ (S. 75). Wenzel beabsichtigte zuvor die Statue aus Geldnot auf einer Auktion in London für 1000 Guinees (= ca. 5 ½ – 6000 Taler) versteigern zu lassen. Dafür hatte er eine graphische Reproduktion anfertigen lassen, von der sich aber nach wie vor kein einziges Exemplar nachweisen lässt. Deren Auffinden könnte eine weiterhin klaffende Lücke schließen helfen: Kein Dokument in den Liechtensteinschen Archiven existiert, aus dem hervorginge, unter welcher Bezeichnung die Bronzestatue dort geführt wurde. Die Anlässe und Folgen für den Wandel der Bezeichnungen von „Ganymed“ über „Apoll giovanne“ und „Idolo“ zu „Antinous“ zu erzählen ist ein betontes Anliegen (S. 13), weil sich daraus Folgerungen auf zeitgenössische sich je wandelnde Zuweisungen spezifischer Qualitäten dieser Statue erschließen lassen, worauf der Verfasser durchgängig ebenso besonderes Augenmerk legt, wie auf die verlangten bzw. gezahlten Summen.

Das Ergebnis ist wenig spektakulär: Drei vom Typ her annähernd vergleichbare Statuen gab es in europäischen Sammlungen: Idolino in Florenz, Camillus und Dornauszieher in Rom. Das machte die Bronze seit ihrer Entdeckung in Rhodos begehrenswert unter potenten Sammlern, wie sich an ihrer Wanderung zeigt: Venedig (S. 17 - 26), Verona (S. 26 - 27), Mantua (S. 27 - 28), London (S. 28 - 33), Paris bis 1717 (S. 33 - 38), Wien (S. 38 – 64). Daran ließ sich zugleich ihr Aufstieg im Rang der Besitzer zeigen: vom Ritter zum König. Parallel dazu verlief die ikonographisch an der Benennung abzulesende Wertschätzung in absteigender Linie, denn in London blieb sie als „figure“, in Paris vor 1687 als „adolescent“ namenlos (S. 33/36)! 1680 diente sie nebenbei in einer akademischen Proportionslehre unter der Bezeichnung: „que lón croit avoir été fait pour representer un petit Ganimede, a la proportion, et les Contours semblables a l'Apollon.“ neben vier weiteren antiken Statuen zur Veranschaulichung eines männlichen Modustypus (S. 36-37, Anm. 56, aber schon der erste Druck von 1680 enthielt die 5. Taf. mit der zitierten Abb.).
Ihre Benennung in Wien – erst im Besitz von Prinz Eugen, danach von Joseph Wenzel von Liechtenstein – lässt sich nach wie vor nicht belegen. Dort war 1718 u.ö. schlicht von „la statue“ die Rede (S. 40, Anm. 65, S. 41, Anm. 75; Leider wurde die Auflösung des Kürzels für das erste Dokument: „W.SA. B 33“ nirgends angeführt, wie sonst durchgängig, wohl weil es sich um ein Zitat nach einer Fußnote in Braubach 1965 handelt). Hier argumentiert der Autor mit der homosexuellen Neigung des Prinzen Eugen und weist darauf hin, dass keine Stichabbildung – etwa von Salomon Kleiner (S. 40, Anm. 66) – erschienen ist, was auch für die nachfolgende Zeit, als die Statue in den Besitz von Wenzel von Liechtenstein und Friedrich II. gekommen war, ihm zu einem gewichtigen Argument wird. Erst mit der Quittung Wenzels vom 7. 8. 1747 (S. 91, Anm. 135) wird ein Dokument zitiert, in dem dieser selber den bronzenen Knaben als „La Statue d'Antinoüs“ benannte. Ausgerechnet an dieser Stelle geht der Autor auf das von ihm mit Nachdruck verfolgte Problem der Bezeichnung nicht ein, sondern hebt hervor, dass das benutzte Siegel nicht dasjenige mit dem Porträtkopf Alexander des Großen war, welchem zuvor von ihm (S. 73, Anm. 114) eine mögliche Signalwirkung bei den Verkaufsverhandlungen unterstellt wurde.

Das Fehlen von Dokumenten lässt die Geschichte der Statue für die Zeit, als sie in Wien einem zweiten Besitzer gehörte, auf weniger als eine halbe Seite im Text schrumpfen. Dazu bringt auch dieser neuerliche dokumentarisch ansonsten ausführlichste Versuch keinerlei bisher unveröffentlichtes Material hervor (S. 43). Weder über die Art und den Ort der Aufstellung noch über ihre Benennung war etwas in Erfahrung zu bringen. Gleiches gilt für ein erstes Verkaufsangebot (S. 57). Ohne jeden Beleg wird ein erfolgloses Verkaufsangebot von 1743 an den König von Polen beiläufig gestreift, ebenso die „Wahrscheinlichkeit“ eines ersten Angebots an Friedrich II. im Jahre 1744 (S. 59-63). Auch in dieser Passage erfahren wir nichts über die Benennung der angebotenen Statue, aber Einiges über mögliche territorialen Interessen, die zwischen Liechtenstein und Friedrich II. kollidierten. Mit dieser Vermutung eröffnet der Autor die Notwendigkeit, auf die politische Rolle Liechtensteins im Interesse Österreichs und seine Beziehung zu Friedrich II. einzugehen. Das führte ihn zur ausführlichen Erörterung des 1. und 2. Schlesischen Krieges (S. 45–63).

Gleich in der Einleitung seines Kapitels über die - schließlich erfolgreichen - Verkaufsverhandlungen von 1747 (S. 65 ff) ist unvermittelt beim Autor nicht mehr, wie bisher, von der „bronzenen Statue“ o.ä. die Rede, sondern vom „bronzenen Antinous“.

Erst ein Brief vom 30.3.1743, den der als Kunstagent in Dresden tätige italienische Kunstkritiker Francesco Algarotti an den Minister Brühl nach Dresden schrieb, belegt, dass Algarotti die Statue als „Antinous“ bezeichnet hatte (S. 70, Anm. 110). Spätestens an dieser Stelle könnte der Leser einen Hinweis auf die in den Sammlungen europäischer Herrscher vorher schon wie selbstverständlich vorhandenen Kopien nach der damals so genannten Antinous-Statue des vatikanischen Belvedere vermissen, deren Benennungs- und Rezeptionsgeschichte bisher ebenso nur partiell veröffentlicht ist.* Gleiches gilt für eine zweite, erst in Salzburg und dann in Wien aufbewahrte „Statue vom Helenenberg“, die ebenfalls zeitweilig als „Antinous“ geführt wurde; ein kurzer Hinweis auf diese findet sich S. 97.

DafĂĽr kommt der Leser umso ausfĂĽhrlicher auf seine Kosten mit den in diesem Kapitel im vollem Wortlaut abgedruckten Dokumenten zu den Verhandlungen des preuĂźischen Gesandten in Wien, Podwils, und den Schreiben Friedrichs II. bis zum
schlieĂźlich erfolgreichen Abschluss und dem Transport nach Sanssouci.
Ab S. 93 legt der Autor ein gut dokumentiertes Kapitel der „Rezeption“ vor, d.h. hier im Wortlaut abgedruckte und kommentierte Erwähnungen von Winckelmann ab 1752, 1764, über Nicolai 1769 und Oesterreich 1774, 1776, 1786, bis Manger 1789. Auch hier kommt der Autor, seiner dem Leser versprochenen Absicht nach, getreu und konsequent auf das späte Datum der ersten Veröffentlichung einzugehen und darauf hinzuweisen, dass auch dort zu Lebzeiten Friedrich II. – wie schon in Wien - keine Reproduktion, sei es als Kupferstich oder Gipskopie, angefertigt worden ist. Seine Antwort ist die Vermutung einer höfischen Diskretion, wie wohl aus dem vollständigen Statuenprogramm für Schloss und Garten von Sanssouci – in dem sich insgesamt vier weitere Antinous-Statuen finden, abgesehen von weiteren drei Antinous-Büsten vom Eingang bis zum Halbrondell vor dem Neuen Palais - sich dies nicht mehr als ganz so überzeugend herausstellen könnte. Allerdings erschien von einer der Büsten eine graphische Wiedergabe auch erst im Jahre 1772 von Krüger mit der Bezeichnung „Antinous Demi Buste ...“.

Fischbacher behandelt den „Betenden Knaben“ in Sanssouci so, als wäre er dort das einzige Monument skulpturaler Ausstattung gewesen. Diese Fokussierung engt seinen Blickwinkel schließlich dann doch bedauerlicherweise unzulässig ein.

Aus dieser Feststellung ergäbe sich zwingend die Frage nach einer ikonographischen Funktion aller dieser teils antiken Originale, teils zeitgenössischen Kopievarianten auch nach dem Antinous vom Belvedere in Sanssouci. Und da wird gleichsam die homosexuelle Neigung Friedrich II. zweitrangig - dem nun keineswegs eine pädophile Neigung unterstellt werden kann -, denn auch hier wird dies vom Autor letztlich wieder nur mit dem Verweis auf eine wohl nur behauptete graphische Reproduktion von Daniel Gran und Camerrata begründet (S. 109). Weitaus vorrangiger scheint indessen die allegorische Funktion dieser Statuen und Büsten als in unterschiedlichen Kontexten vermittelte Hinweise auf die Verpflichtung aller Untertanen des Königs zur Aufopferung bis in den Tod.

Dafür führte nun Fischbacher selber die besten Argumente (S. 110-114) an, die in der von Friedrich II. mit Randnotizen (S. 112) zu den „wesentlichen antiken Quellen“ versehenen literarischen Überlieferung der Vita des Antinous bestehen. Aus dem „bekannten Bibliotheksbestand“ ermittelte er ausschließlich solche literarischen Überlieferungen, die gerade das uneingeschränkt positiv berichtete Lebensende des Antinous als Opfer überlieferten (S. 114). Der gängige und ebenso von allen bisherigen Texten zum „Betenden Knaben“ immer wiederholte Hinweis auf den Tod des Jugendfreundes Katte, den Friedrichs Vater köpfen ließ (S. 114 - 115), ist sicherlich bedenkenswert. Doch biographische Sentimentalität ist kaum als spezifische Charaktereigenschaft Friedrich II. zu unterstellen, jedenfalls weniger denn staatsprogrammatische Raison und preußische Tugend, die mit dem Statuenprogramm der Treppenhaus-Fassade des Schlüterhofes im Berliner Stadtschloss um 1704-1707 kurz nach der Krönung Friedrich I. zum König in Preußen von unbekannter Hand ausdrücklich vorgestellt worden war (siehe dazu peter-gerlach.eu/pubindex.php?cont=2009). Dem belesenen und gebildeten Friedrich II. mag diese programmatische Konzeption bekannt gewesen sein und sie mag ihn bei seiner Auswahl für das Statuenprogramm von Sanssouci geleitet haben: Ein Dokument, mit dem sich diese Vermutung belegen ließe, ist bisher nicht greifbar!

Dass noch weitere Deutungsrichtungen aus dem Ausstattungsprogramm von Sanssouci sich ableiten lassen können, konnte hier nur ansatzweise angedeutet werden.
Dass aber ausgerechnet mit einer völlig subjektiven Entscheidung mehrfach antike Statuen mit Abbildungen junger Männer in sehr unterschiedlichem Alter als Antinous bezeichnet wurden, bezeugt wohl auch das fortdauernde Bedürfnis nach einer Identifikationsfigur für eine gesellschaftlich zu jener Zeit verhinderte Anerkennung einer individuell sexuellen Prägung, für die das einzelne Individuum heute nicht verantwortlich gemacht werden kann und dürfte.

Ein letzter Hinweis auf die alternative ikonographische Deutung ergibt sich aus der vom Verfasser rekonstruierten Aufstellung der Bronzestatue nach ihrer Überführung von Sanssouci in den Parolesaal des Berliner Stadtschloss durch Friedrich Wilhelm II. im Jahre 1793 (S. 125 – 131). Damit geriet sie in die unmittelbare Nähe der anderen Antinous-Kopie an der Treppenhausfassade. Fischbachs ausdrücklicher Hinweis auf die Opferlegende des historischen Antinous (S. 130) im Zusammenhang mit der prekären Lage Preußens von 1792 – 1794 hatte aber die Vorzeichen nun nicht gänzlich ins „rein militärische“ (S. 129) verändert, sondern die bereits in Sanssouci dominante Deutung auch an diesem neuen, wenn auch nur vorübergehenden Ort bekräftigt.

Fischbacher behilft sich mit dem ausdrücklichen Hinweis auf den „ziemlich ungleichen Lebenswandel“ Friedrich Wilhelm II. (S. 129). Das wäre aus der Perspektive des Rezensenten eine überflüssige Bemerkung, wenn der Verfasser sich nur im näheren Umkreis des Aufstellungsortes umgesehen hätte (zumindest virtuell, denn dieser Ort ist im Gegensatz zu Sanssouci leider völlig vernichtet worden).

Mit dem Beginn der kommerziellen Verwertung als „Ganymed“ durch einen Leipziger Abgußhändler (S. 131) begann eine neue Umdeutungsphase. Diese ikonographische Entwurzelung in der wissenschaftlichen Neutralisierung durch Levezow (1804 ff) und Rumpf (1833) verlief parallel zur zeitweiligen Überführung ins Musée Napoléon (1806 -1815, S. 138 f) bis zur endgültigen Überstellung in die Berliner Museen im Jahre 1830 (S. 140 f) als nunmehr lokal beziehungsloser „Betender Knabe“ nur noch im imaginären Raum der Archäologie beheimatet.

* (vgl. peter-gerlach.eu/pubindex.php?cont=2009, 1984 und 1998)

2.10.2012
Peter Gerlach, Köln
Fischbacher, Thomas. Des Königs Knabe. Friedrich der Große und Antinous. 151 S. 18 fb. Abb. 20 x 14 cm. Pb. VDG-Verlag, Weimar 2011. EUR 22,00
ISBN 978-3-89739-695-1
 
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