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William Turner

Es mag unglaublich klingen, aber die Deutschland- und Mitteleuropareisen des wohl bedeutendsten Aquarellisten des 19. Jhs., William Turner, sind erst 1996 in einer Ausstellung der Kunsthallen in Mannheim und Hamburg erstmals umfassend prässentiert und erforscht worden. Turners Reise von 1833 gar war bisher sogar bezweifelt worden und wird erst im vorliegenden Ausstellungsband „Turner in Deutschland“ aus sechs Skizzenbüchern rekonstruiert. Insgesamt hat Turner zwischen 1817 und 44 nicht weniger als sieben Reisen unternommen. Es war der dritte Canto von Byrons „Child Herolds Pilgrimage“, der seit 1816 jene Flut von sentimentalen Rheinreisen auslöste. Naturgemäß standen auf diesen Reisen vor allem Skizze und Aquarell als adäquate Techniken zu Gebote. Die Fülle der Reiseeindrücke Turners zwischen Hamburg und Prag beeindruckt dabei ebenso, wie die Virtuosität, verschiedenste Mittel einzusetzen. Im Mittelpunkt des Interesses stand das malerische und romantische Deutschland entlang der großen Ströme, wobei der Rhein vor der Donau rangiert. Die reiche Ausbeute deutscher Turner-Aquarelle wird vom Desaster kontrastiert, das Turner auf seiner einzigen deutschen Ausstellungsbeteiligung zu Lebezeiten, der Kunstausstellung der Bayrischen Akademie der Künste 1845 erlebte. Hier waren es besonders die cut-outs, die Überklebungen mit einer Huldigung an Ludwig I., die geradezu vernichtende Kritik auslösten. Gerade sie aber waren eine selbstgewählte Form des Meisters, sich zu erklären, da im Katalog keine Kommentare angebracht werden durften. „Turner in Deutschland“ ist nicht nur ein - wie nicht anders zu erwarten war - brillant illustrierter Aquarellband, sondern auch durch Cecilia Powell ein bedeutendes Stück Forschungsarbeit, das Pia Müller-Tamm durch eine Übersicht der deutschen Landschaftsgemälde im Spätwerk Turners ergänzt. Hier vermittelt sie neue Einsichten in die Pendantbildung bei Turner am Beispiel des Walhalla- und des Heidelberg-Gemäldes. Die oftmals sehr allgemein gehaltenen Charakterisierungen der deutschen Städte und Landschaften hätte man allerdings für die deutsche Ausgabe aus dem Text streichen können. Kleine Anachronismen finden sich hier und da. Wie hätte Reynolds in seinen Lectures einen Maler wie Grünewald erwähnen sollen, wenn dieser überhaupt noch nicht wiederentdeckt war?
Noch opulenter kommt der Katalogband „Turner. Die Aquarelle“ daher, der auf eine Ausstellung der Royal Academy of Arts 2000/01 zurückgeht. Hier wird dem Aquarell als vollendetem Kunstwerk nachgespürt (Eric Shanes). Hierzu trugen die seit den neunziger Jahren wachsende Liebe zu archetypischen, monumentalen Formen und die Materialverwendung, z.B. jene „enorme Vielfalt an Aquarellpapieren“ (S.13) wesentlich bei. Auch ein touristischer Entdeckerinstinkt zeichnet den Maler aus. All das ist aber nur äußere Voraussetzung eines Schaffens, das exakte Kenntnis in Geologie, Meteorologie, Hydrodynamik und Botanik voraussetzte. Platonistisches Gedankengut einer idealen, universellen Geologie sieht Shanes als Grundlage von Turners Schatten. Turner war ein Aquarellist für Privatsammler, wie Evelyn Joll darlegt. Von seinen 1578 Aquarellen wurden 500 bis 600 meist umgehend in Collectionen von Connaisseuren verkauft. Den höchsten Preis für ein einzelnes Aquarell zahlte allerdings kein Sammler, sondern Turners klassischer Chronist John Ruskin. Der Alleinvertretungsanspruch, den Ruskin nach Turners Tod als autorisierter Kommentator wahrnahm, ist Teil der umfangreichen Rezeptionsgeschichte, die Andrew Wilton aufrollt. Turner sollte erst im zwanzigsten Jahrhundert „der wundertätige Künstler“ (Ian Warell) werden, nachdem er noch Lebezeiten den Zenit seines erlebten Ruhms deutlich überschritten hatte. Dass kein Maler mehr zur „Mystik des Aquarells“ beigetragen hat (Andrew Wilton) belegen beide Bände auf das Schönste
Jörg Deuter
Turner. Die Aquarelle. Beitr. v. Schanes, Eric /Joll, Evelyn /Warrel, Jan /Wilton, Andrew. 2001. 256 S., 144 farb. Abb. - 28 x 24,5 cm. Ln DEM ca 128,-
ISBN 3-7774-9030-X
 
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