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Bayern und die Schlösser König Ludwigs II. aus der Sicht von Hugues Krafft.

Beginnt man in diesem Buch zu lesen, dann verleihen dort Fotografien und der sie kommentierende Text mit jedem Blatt zugleich einem Mann Konturen, der die Neugier seines für Unbekanntes und Systematik empfänglichen Zeitalters mit Distanz zur Realität und weltmännisch-französischem Kunstverständnis verbindet. So erfolgt dann auch die 1886 zeitbedingt langsame Annäherung des großbürgerlichen Weltreisenden Hugues Krafft an die drei Schlösser Ludwig II.: penible Wegstrecken- und Schlossbeschreibungen wechseln mit feuilletonistischen Impressionen einer ihm unbekannten, immer wieder neu bezaubernden Landschaft ab, gelegentliche distanzierende Betrachtungen landesspezifischer Mentalitäten, Unterkünfte und Bräuche („Schuhpattler“ [sic]) eingeschlossen.
Hohenschwangau, den ersten Besichtigungsort, empfindet Krafft im Gegensatz zu Neu-Schwanstein als geschmacklos-unkünstlerisch, ein Urteil das nur wenig gemildert auch für Linderhof gilt. Dabei finden die Architektur- und Raumkonzeptionen der Schlösser häufig seinen Beifall, nicht aber überbordend-dekorativ gestaltete Räume, wie die unbenutzten, nur der Apotheose Ludwig XIV. und XV. dienenden Schlafzimmer in Linderhof und Herrenchiemsee: solch rokokosierende Pracht macht ihn sprachlos, provoziert sein von rational-klassischen Stilvorstellungen geprägtes französisches Ästhetikverständnis. Ganz Gentleman des 19. Jahrhunderts, weicht er an solchen Stellen elegant aus: solchen Räumen verweigert er den detaillierten Blick ebenso bewusst wie 1886 bereits bröckelnden Parkstatuen eine Fotografie. Sein Fazit für Linderhof und, später ähnlich für Herrenchiemsee: es fehle hier der „goût“, der gute Geschmack (mit „Stil“, und nicht nur hier, unpräzise übersetzt).
Doch Krafft ist nicht nur Ästhet, er ist zugleich Realist, Pragmatiker. Das zeigt sich in seinem ständigen Vergleich der von ihm bewunderten Schlossbaupläne Ludwig II. mit ihrer momentanen und künftigen baulichen und ästhetischen Realisierung. Deshalb kann er dann auch das von Ludwig II. als „vollendeteres“ Versailles geplante Herrenchiemsee mit der viele Jahre später teilweise realisierten Empfehlung verlassen, unfertige Bauteile abzureißen. Sein „melancholisches“ Schlösserbesuch-Fazit: hier habe eine kranke Phantasie unrealisierbare architektonische Phantasmagorien erschaffen. Gleichwohl empfiehlt er, französischer Patriot der er auch ist, gerade nach der militärischen Niederlage von 1871 seinen Landsleuten einen Besuch der Bauten dieses frankophilen Bayernkönigs - nicht ohne Klage über schon 1886 zu viele Schlossbesucher.
Ein genuines Zeitdokument also. Es gewinnt an Aussagekraft durch die Bildmotive Kraffts, die im Text fotografisch fortlaufend, auch kontrastierend, denen des Jahres 2011 gegenübergestellt werden. Der so immer auch auf das Heute gelenkte Blick gelangt dann im zweiten Buchteil zu seinem Recht, in dem sich Baugeschichte, Änderungen und Ergänzungen an den Schlössern in Verweise auf deutsche Ideengeschichte eingebettet finden. Mit dieser bayerisch geprägten, liebevollen Ergänzung zu Kraffts Reisebericht wird der aus seiner Zeit gefallene König in seiner Zeit, der Autor Krafft in einer diesen Band abrundenden Kurzbiographie im deutsch-französischen Kontext verortet.
Ein gelungenes Buch, das einem breiten Publikum neue Perspektiven auf die Schlösser Ludwig II. eröffnet und zugleich die Tradition deutsch-französischer kultureller Begegnungen lebendig werden läßt.

11.03.2012
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
1886. Bayern und die Schlösser König Ludwigs II. aus der Sicht von Hugues Krafft. 1886. Louis II, ses Caateaux et la Bavière selon Hughes Krafft. Hrsg.: Spangenberg, Marcus; Wiedenmann, Sacha. 128 S. 52 fb. Abb., 52 fb. Abb. 25 x 21 cm. Pb. Schnell & Steiner, Regensburg 2010. EUR 19,90. CHF 30,50
ISBN 978-3-7954-2470-1   [Schnell & Steiner]
 
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