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Europas Kunst um 1000

Ausstellungen zur Kunst des frühen Mittelalters scheinen sehr in Mode zu sein: Werdendes Abendland – Karl der Große – Das Zeitalter der Salier, der Staufer und – eben erst in Magdeburg – Otto der Große. Eine weitgehend verlorene Epoche wurde wiederentdeckt. Von Deutschland aus gesehen, wird mit dem Jahrhundert zwischen 950 und 1050 die Zeit der Ottonenkaiser verstanden, deren Kunst seit dem bahnbrechenden Buch von H. Jantzen (1947) zum festen Begriff geworden war. Unlängst erst in einer monumentalen Ausstellung in Hildesheim an der Persönlichkeit des Bischofs Bernward gewürdigt, ist dies nicht ohne Einwirkung auf vorliegende Neuerscheinung geblieben. Es ist ein oft berechtigtes, manchmal auch nur bequemes Hilfsmittel der Periodisierung, künstlerische Epochen mit den Daten herrschender Geschlechter zu verbinden, – so schon in einem 1973 erschienenen Band des „Universum der Kunst“ über das Zeitalter der Ottonen und Salier. Wenn sich das hier angezeigte, zuerst in Mailand erschienene Werk auf die nüchtern abgrenzenden Zahlen 950-1050 beschränkt, dann steht dahinter doch das Bewußtsein, wie sehr die Konsolidierung des „Reiches“ durch die Ottonenherrscher dieses zur europäischen Ordnungsmacht und zur Mitte Europas machte.
Mit dem neuen Jahrtausend freilich hat damals auch eine Differenzierung Europas in Nationalstaaten seinen Anfang genommen. Dieser Entwicklung trägt das vorliegende Buch u.a. darin Rechnung, dass es von einem internationalen wissenschaftlichen Team – wenn auch ohne Mitarbeiter aus dem deutschsprachigen Raum – erarbeitet worden ist, und schon darin verschiedene Akzente setzt.
Es erscheint entwicklungsgeschichtlich plausibel, wenn die erste Hälfte des Bandes der „Kunst im Hl. Römischen Reich“ gewidmet ist (L. Castelfranchi Vegas). Die entscheidenden Probleme spiegeln sich in den Kapitalüberschriften: das karolingische Erbe in Architektur, Monumentalmalerei und Zierkünsten, nicht zuletzt mit Kronen und Kreuzen als Regalia und Heilszeichen, wobei byzantinische Beziehungen ihren wichtigen Platz haben. Allen Hauptteilen sind historisch orientierte Einführungen vorangestellt, sie spielen für das Verständnis eine wichtige Rolle. Im übrigen sind die beschreibenden Texte vielfach mit Abbildungen integriert, ausgezeichneten Farbwiedergaben übrigens, die einen Vorzug des Buches ausmachen. In den Texten sind herausragende Persönlichkeiten ebenso wie Kunstzentren angemessen berücksichtigt.
Mit den Kapiteln der zweiten Hälfte des Buches wird die angestrebte gesamteuropäische Vision der Epoche deutlich gemacht, einsichtsvoll ausgespannt zwischen karolingischen Traditionen und kommenden Entwicklungen der Romanik, mit der sich die politischen und künstlerischen Schwerpunkte nach Westen in das französische Königreich verlagern werden. Für Frankreich bleibt allerdings in dem besprochenen Jahrhundert das einzige Beispiel der Schatzkammer von Conques bedeutsam, ausführlich von D. Gaborit-Chopin beschrieben, dazu ein Beitrag zur Gründungsphase des Reformklosters Cluny (P. Piva). Es folgen Beiträge zur Kunst der südenglischen Zentren in Winchester und Canterbury sowie der gegenüberliegenden flandrischen Kanalküste mit St. Otmer bzw. Saint-Bertin mit ihren hohen Leistungen in Buchmalerei und Elfenbeinschnitzerei (R. G. Gameson). Mit einem letzten Kapitel wird die Kunstübung der Zeit im christlich gebliebenen, nördlichen Teil Spaniens vorgeführt, ebenfalls selektiv und beschränkt auf die chiliastisch geprägten Handschriften des Beatus von Liébana und der Apokalypse (J. Yarza Luaces).
Vor diesem Hintergrund erscheint die hohe und breit gefächerte ottonische Kunst des „Reiches“ umso deutlicher als künstlerisch prägender Faktor der Epoche, in der eine „europäische Kunst“ erst in nuce erkennbar wird. In solchem Zusammenhang muß nun freilich die Konzentration der Darstellung auf die westeuropäischen Länder kritisiert werden. Eine Ausstellung „Europa im Jahr 1000“ und eben noch die Magdeburger Veranstaltung zu „Kaiser Otto dem Großen“ haben aufgezeigt, dass es eine große Leistung der Zeit gewesen ist, die östlichen Länder Mitteleuropas einzubeziehen in die Gesamtkultur des Abendlandes. Davon ist in dem hier angezeigten Buch leider nicht der Rede. Die Autoren haben wohl bewußt eine handbuchartige Darstellung vermieden, um so mit eigenen Akzenten „den künstlerischen Rahmen der Zeit zu rekonstruieren“ mit wesentlichen historischen Umständen, bedeutenden Urhebern – Auftraggebern wie Künstlern – sowie kulturpolitischen und geographischen Schwerpunkten. Wie L. Grodecki einmal formuliert hat, war es insgesamt die Bewahrung traditioneller Werte, die den Weg zur Hochblüte des Mittelalters in der Romanik als einer wahren europäischen Kunst geebnet hat, in der das Abendland seine Bestimmung finden konnte.
Victor H. Elbern
Europas Kunst um 1000. 950-1050. Hrsg. v. Castelfranchi, Vegas. 2001. 240 S., 136 schw.-w. u. 104 farb. Abb.. Ln iSch DEM
ISBN 3-7954-1415-6   [Schnell & Steiner]
 
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