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Europäische Stickereien 1250-1650

Die "Kunst der Stickerei dient" - nach einer Definition aus dem 16. Jh. - "mehr der Verzierung als der Bequemlichkeit und mehr den Frauen als den Männern." Sie war daher vor allem Frauenarbeit, und zwar eine "vornehme Tätigkeit" für die hohen Damen bei Hof gegen den Müßiggang und für die adeligen Nonnen und Stiftsdamen in der Ausschmückung ihrer Kirchenräume und der Verzierung liturgischer Gewänder eine standesgemäße Aufgabe. Aber auch die Nonnen der Bettelorden betätigten sich als Stickerinnen, weil sie den Unterhalt ihrer Ordenseinrichtungen zu sichern hatten. Im Laufe des Mittelalters arbeiteten Klöster - die oft "Zentren der Künste", einschließlich der Stickkunst waren - nicht mehr nur für den eigenen Kirchenschmuck, sondern mehr und mehr für den Fremdbedarf zu Erwerbszwecken. Als sich im Spätmittelalter das Stickerhandwerk zu einem eigenen professionellen Gewerbe entwickelte, "traten zunehmend Männer als Sticker neben die stickenden Frauen. Als städtische Handwerker schlossen sie sich vielerorts zu Zünften zusammen."
Der vorliegende gediegen aufgemachte, gewichtige Kunstband über die Sammlung des Deutschen Textilmuseums in Krefeld ist weit mehr als ein Bestandskatalog: er ist eine systematisch angelegte, fundierte Geschichte der Entwicklung der Stickkunst in Mittelalter und Renaissance. Thematisch breit gefächert, auf umfangreiches Quellenmaterial gestützt werden Hersteller, Werkstätten, Materialien, Techniken, Entwürfe und Vorlagen, Arbeitsabläufe und Handel, sowie das wachsende Klientel durch den zunehmenden Wohlstand im städtischen Bürgertum behandelt.
Der Katalog präsentiert 233 Beispiele aus der Sammlung des Museums auf meist kleinformatigen, z.T. ausschnittvergrößernden farbigen Abbildungen, systematisch geordnet nach Materialien und ihrer Bearbeitung wie Gold- und Seidenstickereien, Applikationsstickereien, Weißstickereien und Spitzen, Netzstickereien, Stickereien auf Leinen nach Zählmustern und schließlich Stickereien mit freier Mustergestaltung in verschiedenen Sticharten. Jeder Gruppe ist ein detailliert informierendes Einführungskapitel vorangestellt und. jedes Exponat wird ausführlich kommentiert mit Werkbeschreibung, Hinweisen auf Vergleichsstücke, Bemerkungen über Einsatz und Nutzung und vor allem mit genauen technischen Angaben über Art der Stickerei, Stickgrund, Garne, Farben, Stilart, Maße und Provenienz.
Der sorgfältig erarbeitete und zusammengestellte Anhang mit einem zusammenfassenden Überblick in englischer Sprache, mit einer Sammlung aller Sticharten in klaren Schwarzweißzeichnungen (-zum Nacharbeiten geeignet-), mit umfangreicher Bibliographie, Register u.a. ist ein bestens geeignetes Lehrbuch für Auszubildende und Studenten, eine anschauliche Kunst-, Kultur- und Gesellschaftsgeschichte und ein Grundlagenwerk für die weitere Forschung.

Darüber hinaus fand zum Thema "Reiche Bilder. Aspekte zur Produktion und Funktion von Stickereien im Spätmittelalter" im November 2008 eine internationale Fachtagung im Deutschen Textilmuseum Krefeld mit dem Ziel statt, "aus dem Blickwinkel unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen die neuesten Forschungen zur Organisation der Werkstätten, zu Mechanismen, der Auftragsvergabe, zu Herstellungszentren, Handelsbeziehungen und der politischen Indienstnahme von Stickereien zusammenzutragen, vorzustellen und zu diskutieren."
In einem sorgfältig edierten großformatigen Band in der gleichen ansprechenden Aufmachung wie der Museumskatalog wurden acht Beiträge verschiedener Referenten veröffentlicht. Die Autoren untersuchen, das vorhandener Quellenmaterial auswertend, an zahlreichen Beispielen die wirtschaftlichen Hintergründe der mittelalterlichen Stickereien, insbesondere der Bildstickereien aus Gold und Seide, Auftragsbedingungen, Gestaltungsfreiheiten der Stickerwerkstätten, Arbeitsweise und Vorlagematerial wie Silberstiftzeichnung oder Holzschnitt, serielles Produzieren in Folge der steigenden Nachfrage von Päpsten, Fürsten und wohlhabendem Bürgertum, Materialien, Bezugsquellen und Handel. Gute farbige Abbildungen illustrieren die fundierten Textbeiträge, zu denen jeweils ein umfassender Anmerkungsteil gehört. Neben seiner wissenschaftlichen Bedeutung für die Forschung dürfte der Band auch für interessierte Laien eine ebenso fesselnde wie lehrreiche Gesellschafts-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte des Mittelalters sein wie der Krefelder Museumskatalog. Beide Bände ergänzen sich auf ideale Weise.

Reiche Bilder. Aspekte zur Produktion und Funktion von Stickereien im Spätmittelalter. Beiträge der Internat. Fachtagung des Deutschen Textilmuseums Krefeld und ... (20.-21. BOT. 2008). Hrsg.: Uta-Christiane Bergemann, Annemarie Stauffer. Regensburg : Schnell & Steiner 2010. ISBN 978-3-7954-2409-1

20.1.2010
Christa Chatrath
Bergemann, Uta Ch. Europäische Stickereien 1250-1650. Textilmuseums Krefeld, Band 3. 400 S. 335 fb. Abb., 28 x 21 cm. Gb. Schnell & Steiner, Regensburg 2010. EUR 49,90. CHF 77,90
ISBN 978-3-7954-2399-5   [Schnell & Steiner]
 
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