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Adelssitze im Herzogtum Preußen und Nordpolen 1650–1850

Methodische Grundkonzeption der Beiträge dieses Forschungs-Sammelbandes ist jene besonders nach 1990 praktizierte Entgrenzung national geprägter kunsthistorischer Betrachtungsweisen, wie sie 2005 an dem von deutschen und polnischen Kunsthistorikern verfassten und in deutscher und polnischer Sprache erschienenen „Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler in Polen. Schlesien“ so beispielhaft deutlich wurde. Dabei werden (nicht nur) die Autoren des für 2012 innerhalb dieser sechsbändigen Handbuchreihe geplanten Teiles über „West- und Ostpreußen“ auf bis dahin erschienene gemeinsam verfaßte deutsch-polnische Detailstudien zurückgreifen können, wie sie hier mit Forschungsbeiträgen zum Bau und der Inneneinrichtung von Adelssitzen im Herzogtum Preußen und Nordpolen zwischen 1650 und 1850 vorliegen:

Grundsätzlich-Innovatives Architektonisches war, bedingt durch die schon am Buchtitel deutlich werdende geographische Randlage, in diesem Teil Europas nicht zu erwarten. Der häufige Rekurs auf italienische (Palladio, Canova), niederländische (van Gameren) und französische Vorbilder oder Baumeister belegt die Einbindung auch dieser Adelssitz-Architektur in (west-)europäische Traditionsstränge mit nur marginal ausgeprägten nationalen Komponenten. Die Analyse dieser so entstandenen Architektur konzentriert sich deshalb auf baugeschichtliche und bauliche Details die, häufig hypothetisch jedoch immer akribisch, als Resultat jeweils zeitspezifisch bedingter religiöser und gesellschaftlich-politischer oder ökonomischer Positionen der Bauherren nachgewiesen werden: die Inneneinrichtung der von der Nähe zum Berliner Hof geprägten Bau- und Raumkonzeption der drei heute ruinenhaft-sanierungsbedürftigen „Königsschlösser“ Schlobitten (von Dohna), Finckenstein (Finck von Finckenstein, von Dohna), Dönhoffstädt (von Dönhoff) wird nun verständlich(er) und die Neogotik nach 1800 kann so in Polen ähnlich wie in Deutschland nicht nur als Ausdruck nationaler Selbstbestimmung (Nassau, Turm des Freiherr vom Stein; Schloß Dowspuda, Graf Pac), sondern auch als eklektizistische architektonische Legitimation neureicher Zeitgenossen verstanden werden (Schloß Goßlershausen, Graf Narzymski).

All dies Erhellende verdunkelt sich ein wenig, wenn, wie im Beitrag über Schlobitten, die Rekonstruktion der Innenräume ostpreußischer Schlösser durch den Verzicht auf einen Vergleich der ursprünglich vorhandenen mit den noch heute in Deutschland und Polen nachweisbaren Inneneinrichtungen gelingen soll – Inneneinrichtungen, von denen sich Teile (nicht nur) im Allensteiner Ermländischen Museum, auf dem heutigen Dohna`schen Familiensitz Schloß Schönstein in Wissen/Sieg und (ab 2012 vollständiger) im Berliner Schloß Schönhausen befinden. Anders als der Autor meint, ist Schloß Schlobitten gerade nicht „zerstört“ worden, auch wenn (deshalb ?) dessen heutiger Erhaltungszustand, im Unterschied zu anderen besprochenen Adelssitzen, in diesem Band nicht fotografisch dokumentiert ist. Solche Ungenauigkeiten sind unerfreulich, finden aber im methodisch und inhaltlich stringenten Beitrag über Schloß Finckenstein ihr erfreulich-überzeugendes, exzellentes Gegenbeispiel.

Auch durchgängig deutsche und polnische Ortsbezeichnungen wären hilfreich gewesen und die Resonanz der „scientific community“ auf die Beiträge dieses Sammelbandes hätte durch Zusammenfassungen („abstracts“) in polnischer und/oder englischer Sprache sicher nicht gelitten. Aber auch den Herausgebern ist ein Monitum nicht zu ersparen: daß das heute in Rußland liegende, aber nicht mehr existierende Schloss Friedrichstein -es ist das der „Zeit“-Gräfin Dönhoff-, das vierte der im Herzogtum Preußen liegenden „Königsschlösser“, nicht mit einem eigenen Beitrag gewürdigt wird, ließ den Rezensenten nach Auswahlkriterien für die hier beschriebenen Adelssitze suchen – er ist nicht fündig geworden.
Gleichwohl: ein sehr nützlicher Band, der Desiderat war und ein Desiderat aufzeigt: nicht nur Archäologen, Kunsthistoriker und Denkmalschützer mittels Handbüchern (s. oben) für die Bewahrung (sprich hier: Sanierung) dieses gemeinsamen deutsch-polnischen Architektur- und Geschichtserbes zu gewinnen, sondern mit einem Kulturführer zu erhaltenen oder heute verschwundenen adeligen Landsitzen ein breites Publikum dafür zu interessieren, was auch östlich des heutigen Deutschland nationales und europäisches Erbe zugleich ausmacht.
Wolfgang Schmidt Berlin-Friedenau
Im Schatten von Berlin und Warschau. Adelssitze im Herzogtum Preußen und Nordpolen 1650-1850. Hrsg. v. Woldt, Isabella. 400 S., 20 fb. und 307 s/w-Abb. 27 x 21 cm. Gb Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2009. EUR 69,00
ISBN 978-3-496-01410-2   [Dietrich Reimer Verlag]
 
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