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Der Bamberger Reiter und seine Deutungen

Der „Bamberger Reiter“ gehört zu den berühmten Streitobjekten der Kunstgeschichte. Alles ist rätselhaft an dieser überlebensgroßen Reiterskulptur, die um 1230 im Bamberger Dom aufgestellt wurde. Wer ist der bekrönte Mann, der heldenhaft-gelöst in die Tassel greift, das Kircheninnere fest im Blick, die Zügel des Pferdes unter Kontrolle? Heinz Gockel nähert sich dieser Gretchenfrage der Fachdisziplin von außerhalb: er ist Philosoph und Theologe, lehrte in Bamberg Literaturwissenschaft mit Schwerpunkt auf Neuzeit und Moderne. Sein akademischer Ausflug ins Hochmittelalter ist nicht ganz so leicht zugänglich, wie es die Aufmachung des kleinen Bandes zunächst vermuten lässt.

Auslöser, sich dem Thema zu nähern, schien nicht zuletzt eine Publikation des Verlagshauses Langewiesche mit dem Titel „König der Könige“. Ihr Autor Hannes Möhring legte 2004 eine „neue Interpretation“ des Reiters vor, suchte Aufschluß über Aufstellung und Blickrichtung und konstatierte nach umfassender Detailanalyse den friedlichen Gestus des Reiters, der der „König der Könige“ sei, eine Personifikation des Heilands.
Dieser Ansicht widerspricht Gockel entschieden, so wie er auch die anderen Deutungen des Reiters verwirft, der bereits als Konstantin der Große, Stefan von Ungarn, Heinrich II., Friedrich II. und andere mehr identifiziert worden ist. Gockel fordert eine heilsgeschichtliche Interpretation des Reiters, aber eben auch seines gesamten Umfeldes. Fürstenportal, die früher als „Elisabeth“ bezeichnete „Seherfigur“, laut Gockel die „tiburtinische Sybille“, und Reiter sieht er in einem direkten Zusammenhang: der Besucher gelangt über die Schwelle des Alten Bundes zum Neuen, durch das „Jüngste Gericht“ hindurch in den Kirchenraum, der nichts anderes sei als das architekturgewordene „himmlische Jerusalem“, in dem der Reiter als Allegorie des sogenannten „Endzeitkaisers“ fungiert, einer Figur aus dem Instrumentarium apokalyptischer Handschriften.
Plausibilität dieser These entsteht durch eine rhetorische Doppelstrategie, die auch frühere Reiter-Exegeten verfolgten: Widerspruch gegenüber anderen Argumenten und äußerste Redundanz. Gockel greift verbal zum ausgestreckten Zeigefinger und setzt mit seiner Erzählung immer wieder von vorn an. Die pädagogische Infiltration bestimmt schließlich das Format: was man in gängiger Aufsatzlänge hätte abhandeln können wird zum 78-seitigen Text-Bildband erweitert. So bleibt mehr Irritation zurück über das Ungleichgewicht von Form und Inhalt, als Freude über die beherzte Neudeutung des Bamberger Reiters. Denn sie ist nicht ohne Charme und gleichwohl ernst zu nehmen. Auch wenn ihr bald, soviel ist sicher, aufs Neue widersprochen wird.

03.07.2010
Christian Welzbacher
Gockel, Heinz. Der Bamberger Reiter. Seine Deutungen und seine Deutung. 2. korr. Auflage. 84 S., 2 fb. und 10 sw. Abb., 14 x 21 cm, Br., Deutscher Kunstverlag, München 2010. EUR 12,80
ISBN 978-3-422-06757-8
 
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