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Italienische Reproduktionsgraphik

Reproduktionsgrafiken, also Stiche und Holzschnitte, die nach Gemälden und Handzeichnungen berühmter Künstler angefertigt wurden, sind ein sprödes Thema. Die Autoren des nun vorliegenden opulenten Bandes haben ihm bereits vor einigen Jahren ein vergleichbares Buch gewidmet. Damals ging es um einen späten – wenn auch nicht den letzten – Höhepunkt dieser Technik, die im Laufe des 19. Jahrhunderts von der Fotografie immer mehr verdrängt wurde. Im Frankreich des 18. Jahrhunderts wurden gleichzeitig Techniken verfeinert und neu entwickelt wie auch das gewerbliche System des Verlegens und des Vertriebs dieser Reproduktionen. Damit wurde eine der Grundlagen für den modernen Kunstmarkt und für das gelegt, was wir heute nach Niklas Luhmann das „Betriebssystem Kunst“ nennen.

Mit ihrem neuen Band geht das eingespielte Autorenduo nun den Beginn der Geschichte dieses Mediums an. Während der frühe Holzschnitt und Kupferstich zu Recht als Domäne der nordalpinen Kunst gelten, ist die Idee, Gemälde und Zeichnungen zu reproduzieren, bislang kaum als eigenständig herausgestellt worden. Die nordalpinen Künstler nutzten die Drucktechnik um für einen schnell wachsenden Markt Auflagen preiswerter Bilder herzustellen. Diese volkstümlichen Andachtsbilder in Holzschnitten – die sogenannten Einblattholzschnitte – und die künstlerisch differenzierteren Möglichkeiten, Zeichnung in den Kupferstich zu übertragen, regten gestandene Künstler dazu an, sich neben den kirchlichen und adligen Auftraggebern im jungen Bürgertum der Städte ein eigenes Publikum für ihre Kunst zu suchen, das eine wirtschaftliche Unabhängigkeit versprach.

Nicht zuletzt aus dieser kommerziellen Überlegung heraus war sich etwa ein Albrecht Dürer nicht zu fein, seine Druckgrafik von seiner Frau auf den Märkten feilbieten zu lassen. In Italien gab es einen derartigen Markt hingegen kaum. Gramaccini idealisiert im einleitenden Theorieteil des Buches nicht, wenn er darauf verweist, dass die Kunsttheorie der Renaissance in Italien einen ganz anderen Aspekt in den Vordergrund stellte. Entsprechend der Idee der Rhetoriklehre, dass eigenständiges Formulieren aus der Interpretation eines vorhandenen, berühmten Textes sich entwickle, entstand die Wertschätzung einer Wiedergabe eines berühmten Bildes, die eben nicht allein eine Vervielfältigung im heutigen Sinne sein sollte.

Gramaccini sieht die Verfeinerung der italienischen Druckgraphik im Zusammenhang mit der Entstehung des italienischen Buchmarktes. Nicht dass die Bilder der Illustration dienten, aber beide Medien wandten sich an den gleichen überschaubaren Zirkel von Gelehrten. Diese wussten eine gedruckte Zeichnung etwa Andrea Mantegnas, als die man den Kupferstich ansah, zu schätzen. In der Zeit Raffaels und besonders auf dessen eigene Initiative hin wurde aus dem stechenden Künstler ein Ideengeber, der mit dem Grafiker eng zusammenarbeitete. Die Verfahren Zwischentöne in der Schwarz-Weiß-Kunst darzustellen wurden nun von den Künstlern verfeinert und schließlich auch mit dem farbigen Holzschnitt von mehreren Platten eine Technik entwickelt, die es erlaubte die Qualität weiß gehöhter Zeichnungen auf farbigen Papier, wie sie in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts so beliebt waren, perfekt zu simulieren.

Der Katalogteil von Hans Jakob Meier mit 208 hervorragend reproduzierten Beispielen, die ausführlich beschrieben werden, legt die Frage nahe, warum das ganze Projekt nicht auch als Ausstellung angelegt wurde. Tatsächlich bot das Berliner Kupferstichkabinett im Frühjahr 2009 eine Auswahl aus den im Buch besprochenen Blättern an. Aber allein schon alle Grafiken in den jeweils am besten geeigneten Abzügen zusammenzubekommen, würde jedes Museumsbudget sprengen. Das Buch bietet darüber hinaus die Möglichkeit, eine prominente Reihe von Zeichnungen neben ihre „Reproduktion“ zu stellen. So wird augenfällig, dass es sich in jedem Fall um eine Interpretation handelt und kein einfaches Nachmachen.

Mehr noch als mit dem früher erschienen Band hält man hier ein ebenso anspruchsvolles wie ertragreiches und nicht zuletzt ein gediegen ausgestattetes Buch in der Hand, das ein zu wenig beachtetes Thema erstmals übersichtlich erschließt. Bedauerlich ist allein, dass die in einem Anhang versammelten Quellentexte nicht alle aus dem Italienischen übersetzt wurden. Das Buch wird nicht nur die Kenner der Druckgrafik begeistern, sondern erschließt auch mit den Ausführungen zu Markt und Werkstattgepflogenheiten grundlegende Aspekte zur Kunst der Hochrenaissance.
1.06.2010

Norberto Gramaccini / Hans Jakob Meier, Die Kunst der Interpretation. Französische Reproduktionsgrafik von 1684 bis 1792, München: Deutscher Kunstverlag 2003



Andreas Strobl
Norberto Gramaccini, Hans Jakob Meier: Die Kunst der Interpretation. Italienische Reproduktionsgraphik 1485-1600. 440 S., 34 fb, Abb., 210 Duplex-Abb., 22,5 x 32 cm, Gb., Deutscher Kunstverlag, München 2009. EUR 98,00
ISBN 978-3-422-06872-8
 
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