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Enzyklopädik der Frühen Neuzeit

Angesichts vielfältiger Umbrüche in Gesellschaft, Medien, Wissenschaft und Kunst, entstanden in den vergangenen Jahren neue wissenschaftliche Forschungsschwerpunkte, die zwei relevante gesellschaftliche und wissenschaftsinterne Diskurse, „Macht des Wissens“ und „Macht der Bilder“ miteinander verbinden. Zur Rede von der „Wissensgesellschaft“ gesellt sich die Rede von einer zunehmenden Dominanz des Bildes über den Text. Im Zuge dieser Forschungen, an der mehrere Disziplinen, Philosophie, Pädagogik, Bild-, Kunst- und Kulturwissenschaften, Wissens- und Wissenschaftshistoriker und die soziologische Wissensforschung, teilnehmen, wurde verstärkt zur Rolle visueller Ausdrucksformen bei Herstellung, Verbreitung, Aufbewahrung und Durchsetzung von Wissen geforscht. Verstärkt in den Vordergrund gerückt wurde dabei die Zeit der Frühen Neuzeit, also das 16. und das frühe 17. Jahrhundert. Zur Rede steht, das Zusammenspiel von Wissen, Wissensordnungen und deren Darstellungsformen zu analysieren. Am Schnittpunkt dieser Diskurse und Forschungen bewegt sich die Arbeit von Steffen Siegel „Tabula“. Der Autor möchte die vielfältigen philosophischen Versuche, Wissensfülle systematisch zu ordnen, nicht nur anhand von überlieferten Texten, sondern auch anhand von Bildern, wie Diagrammen, Schautafeln, Bildallegorien, Illustrationen und Karten rekonstruieren.

Forschungsdesiderat in der Philosophie

Mit dieser Arbeit schreibt seiner Profession, der Philosophie, ins Stammbuch, dem Bild, mehr als bislang, „epistemologisch relevante Beweiskraft“ zuzusprechen und Vorbehalte dagegen aufzugeben. Es fehle, so Siegel am Ende seiner Abhandlung, im Anschluss an Bernhard H.F. Taureck, eine umfassende „Thematisierung des philosophischen Bildgebrauchs.“ Dass dem Bild gegenüber dem Begriff ein epistemologischer Eigenwert zukommen, hebt Siegel folgerichtig hervor. Salopp formuliert könnte es heißen, erst wenn Bild und Text zusammenkommen, kann von Philosophie gesprochen werden. Siegel betätigt sich mit dieser Arbeit als Traditionsbrecher, der die einseitige Fixierung der Philosophie auf den Begriff für überholt hält. Allenfalls habe man sich, im Gefolge der Arbeiten seines Kollegen Hans Blumenberg, mit dem Eigenrecht bildlicher Ausdrücke, wie Metaphern, befasst. Siegel untersucht in fünf Sektionen, Wissensordnung, Wörter, Diagramme, Rahmen und Wissenspraktiken, visuelle und textliche Wissensrepräsentationen in Enzyklopädien der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der „Tableaux accomplis de tous les arts libéraux“ (1587) des eher unbekannten Enzyklopädisten Christophe de Savigny (1530-1608). Im fünften Kapitel, den Wissenspraktiken, versucht Siegel mit Hinweis auf Schriften des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) Debatten zum philosophischen Bildgebrauch anzustoßen. Leibniz, so Siegel, einige Zeit nach Savigny, sprach davon, die Gesamtheit von Wissenschaften aus „>Figures<“ und „>Formules<“, also visuellen Zeichen, abzuleiten. Leibniz, so der Autor weiter, ziele „auf das betrachtende Auge als einem Instrument von Erkenntnis in den Wissenschaften“. “ Das späte 16. sowie das frühe 17. Jahrhundert scheinen für diese noch von der Philosophie zu leistende Arbeit auch deshalb besonders geeignet, da es von einer „Kultur der Ordnung“, dazu gehört auch die Kategorie Wissen, beherrscht sei, so das Ergebnis der Arbeiten von William J.Bouwsma. Angemessen sei es jedoch, so Siegel weiter, von einer „Vielzahl“ von „Ordnungskonfigurationen“ zu sprechen. Eine jener zentralen Konfigurationen von „Ordnung im Allgemeinen“ sei das „humanistische Projekt des Enzyklopädismus“ und seiner Idee einer „universalen Wissensordnung“.

Vorgänger und das Projekt Enzyklopädie

Noch vor der Aufwertung des Auges als Erkenntnisinstrument durch Leibniz, liegen vielfältige philosophische Versuche, Wissen nicht nur zu ordnen, sondern es auch zu veranschaulichen. Siegel interessiert sich für Tableaux, also Schautafeln, die ein Thema auf einen Blick sichtbar machen und von denen einige im Buch abgebildet wurden. Im Fokus freilich, die Tafeln von Savigny, die im Mittelteil auf 39 ganzseitigen Abbildungen reproduziert wurden.
Sie boten sich für Siegels Untersuchung wegen ihres exemplarischen Charakters an, da Savigny, so der Autor weiter, mit der Absicht angetreten sei, ein „Instrument zur visuellen Konstruktion von Wissensordnung zu produzieren“. An diesem Werk nun möchte Siegel Grenzen und Möglichkeiten der Funktionalisierung visueller Zeichen zeigen. Zunächst jedoch referiert Siegel über Grundsätzliches zur Enzyklopädie und zu enzyklopädischen Unternehmen der Frühen Neuzeit und ordnet das Savigny-Projekt in diesen Kontext ein. Theoretisch ließ Siegel sich von Michel Foucaults in die Wissenschaft eingeführten Konzept des Dispositiv, inspirieren. Zur Rede steht damit ein Ensemble von Diskursen, Praktiken, Institutionen und Regeln. Wissen, so Foucault, wird in diskursiven Praktiken, als Vorbedingung, von Erkenntnis, generiert. Daher geht Siegel in weiten Schleifen auf Suche, wie dieser Wissenbestand geordnet wurde und nimmt ideengeschichtliche und medienspezifische Umbrüche in den Blick.

Rahmungen und Schattierungen

Methodisch bietet Siegel einen Kreuzgang aus Systematischem und Historischem und Interdisziplinarischem. Im ersten Schritt, im ersten Kapitel „Wissensordnung“ geht es zunächst einmal um ideengeschichtliche Voraussetzungen einer Wissensordnung. Frühe Neuzeit, das ist Humanismus und dieser gilt für einige Forscher inzwischen als jene Zeit, in der die heute so viel zitierte Wissensgesellschaft ihren Anfang nahm. Vom Wissensbegehren angetrieben, sahen damalige Gelehrte ihre Aufgabe darin, Wissen in Begriffe zu fassen, gleichwohl sofort das Problem auftauchte, dass eine Totalität des Wissens faktisch nicht einholbar ist und die Verwendung von Zeichen nur eine Annäherung an Totalität sein kann. Diese Idee von Vollständigkeit, zog vier Fragen nach Tradierung, Memorierung Speicherung, Erwerbspraktiken von Wissen nach sich. Zur Debatte standen daher Fragen zur Fülle und Vollständigkeit des Wissens, Fragen zu einer übergeordneten Bildung, wie sie im Konzept eines Universalgelehrten (uomo universale) zum Ausdruck kommt, ebenso wie Fragen zu Mnemotechniken und Medien (Bibliotheca, Museum, Pandectae, Thesaurus, Speculum, Theatrum). Als dialektisches Feld konzipiert Siegel den damaligen Universalitätsbegriff, dem ein quantiativer Aspekt (totum) zu eigen ist (Annäherung an das Ideal einer vollständigen Erfassung des Wissens) und der in Spannung zum qualitativen Aspekt (unum) steht (Einheitlichkeit bei der Erfassung von Wissen). Mit Hinweisen zum zweiten Begriff, den Ordnungsbegriff, der Analyse (das Konkrete) und Synthese (das Ganze) leitet Siegel zur ideellen Großwetterlage Religion über. Das bot sich für die humanistischen Gelehrten auch im Falle ihrer enzyklopädischen Unternehmen an, konnten sie durch diesen Kunstgriff die Idee universalen Wissens mit der „Notwendigkeit einer universalen Ordnung“ verbinden und mit dem göttlichen Ordo lag eine in sich perfekte Ordnung als Schöpfung vor, der es, mit dem Programm „perfekt einzurichtenden menschlichen Wissen“ nachzustreben galt, um möglichst die Kluft von Ist-Wissen zu Soll-Wissen zu verringern. Im Fortgang seiner Argumentation wird Siegel erneut, im Kapitel „Rahmen“ auf die Beziehung von Religion und Enzyklopädik zu sprechen kommen. Er unternimmt dies in einem Kapitel, das den Aspekt der Bildrahmung der Schautafeln behandelt. Darin geht es zweitens unter der metaphorischen Zwischenüberschrift „Spiegel“ um die menschliche Fähigkeit, sowohl die Vielfalt von Dingen als auch die ihnen eingeschriebene Ordnung zu erfassen und es geht, drittens, um limitierende Grenze alles Wissens durch die Religion. Am prägnantesten drückte diesen Sachverhalt eines geschlossenen Systems der Philosoph Francis Bacon (1515-1626) aus: „That all knowledge is to be limited by religion.“

Text-Bild-Legierungen

Im Fokus von Siegels Untersuchung steht das Zusammenspiel von Text und Bild. Sein Augenmerk richtet sich daher auf Bilder, Tafeln, Rahmen und Diagramme als Visualisierung von Wissen. Nach längeren Ausführungen zu deren Gebrauch in der Frühen Neuzeit, dringt Siegel zu seinem eigentlichen Mittelpunkt vor, den Tableaux von Savigny, die auf je sechzehn, Bild- und Texttafeln Künste und Wissenschaften in Gestalt von Diagrammen darstellen, grundiert von der Grammatik, gekrönt von der Theologie. Ein Blick aufs Bild und sofort erfasst der Betrachter die Ordnung der Disziplinen. Der äußere Rahmen, mit Ornamenten verziert, ändert sich nie, der Innenrahmen, ausgestattet mit Schrift- und Bildelementen, wurde variabel als Oval gestaltet. Innerhalb der Ovale werden die Disziplinen untergliedert und sind untereinander verbunden. Savignys Tafeln stellt Siegel in die Tradition allegorischer Wissensbaum-Darstellungen. Da das Diagramm von Siegel als eigenständige Form, jenseits von Bild und Text, betrachtet wird, wird in der Erörterung der Tableaux darauf besonders abgehoben.

Grenzziehungen

Im Umkreis der Wissensgeschichte situierte Siegel seine kunstwissenschaftliche Studie. So ganz mag sie nicht zu überzeugen. Theoretisch etwas zu flach fallen Siegels Betrachtungen zum Verhältnis von Bild und Text, aber auch Bild und Argument, Bild und Diagramm, Religion und Visualität aus. Um beim letzteren zu bleiben: es müsste deutlicher zwischen medienspezifischen Limitierungen des Wissens durch dessen äußere Gestaltung, hier am Beispiel von Savignys Tableaux vorgeführt, und ideellen Limitierungen, etwa durch die Religion, unterschieden werden. Siegel kann seine Behauptung, dass die religiöse Limitierung des Wissens, von der Bacon sprach, sich in den Tableaux auffinden lasse, nicht belegen. Siegels springt in seinem Rückschluss, medienspezifische Grenzen lassen auf ideelle Gründe schließen, zu kurz. Ähnlich Kurzschlüssiges ließe sich zu seiner These, dass die „Ordnung des Wissens“ in der „Ordnung visueller Zeichen“ legitimiert werde, sagen, behauptet Siegel doch umgekehrt, dass visuelle Ordnungen „Aporien der Versuche, Ordnungen des Wissens zu konstruieren“ sichtbar werden lasse. So als hätte er sich ein wenig verfangen, schwächt Siegel seine Thesen am Ende der Untersuchung auch ab. Wie auch immer, Siegels legt selbst eine Tabula vor, eine Buch aus visuellen und lesbaren Zeichen. Es wurde schön gestaltet und es liest sich anregend.
22.6.2009




Sigrid Gaisreiter
Siegel, Steffen: Tabula. Figuren der Ordnung um 1600. 240 S., 69 sw. u. 39 fb. Abb. 27 x 22 cm. Gb Akademie Verlag, Berlin 2009. EUR 39,80
ISBN 3-05-004563-9
 
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