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Hundert Jahre Design und Lehre in Deutschland

Anhand der Form eines Knopfes erklĂ€rte Adolf Loos (1870-1933) in seinem mit „Vom Ste-hen, Gehen, Sitzen, Schlafen, Essen und Trinken“ betitelten Vortrag, was Kultur sei, gemeint war aber, was gutes Design sei. In Österreich so gut wie in Deutschland und anderen europĂ€i-schen LĂ€ndern herrschte gegen Ende des 19. Jahrhunderts Aufbruchstimmung. Kunst, Handwerk und Industrie wollten dem qualitativen Niedergang der Produktgestaltung und –fertigung im Zuge der Industrialisierung mit einer QualitĂ€tsoffensive begegnen, zumal die angewandten KĂŒnste gegenĂŒber den freien an den Akademien abgewertet worden waren. Zwei der berĂŒhmtesten GrĂŒndungen, der Deutsche Werkbund und die KĂŒnstlerkolonie in Darmstadt auf der Mathildenhöhe feiern ihr 100-jĂ€hriges JubilĂ€um. In MĂŒnchen blickte man auf 100 Jahre Werkbund zurĂŒck, in Darmstadt weitete man das Feld zur einer Gesamtschau ĂŒber 100 Jahre Designausbildung. Zwei Autoren und Designkenner der jĂŒngeren Generation, Kai Buchholz und Justus Theinert begaben sich, zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Silke Ihden-Rothkirch, auf Spurensuche und fassten ihre Recherchen in einem zweibĂ€ndigen Publikation zusammen. Chronologisch in sieben Zeitphasen erkunden die Autoren im ersten Band die wichtigsten Ausbildungsinstitutionen, geben Auskunft ĂŒber bekanntes und heute eher unbekanntes Lehrpersonal, gehen auf Struktur und Schwerpunkte der AusbildungsgĂ€nge ebenso ein, wie sie grundlegende Debatten zusammenfassend rekapitulieren und betten dies in historisch-politisch-kulturelle ZeitlĂ€ufte ein. Der zweite Band enthĂ€lt den Apparat, der sorgfĂ€ltig erarbeitet wurde und der das Schema der Zeiteinteilung des ersten Bandes aufnimmt. Da Deutschland in den vergangenen hundert Jahren variable Grenzen hatte, steht am Anfang jedes behandelten Zeitabschnitts eine Karte, auf der die Gestaltungsschulen eingezeichnet sind, 1910 waren es 66, 2007 zĂ€hlen die Autoren 61, 1920 wurde die Höchstzahl mit 89 erreicht, dazwischen schwanken die Werte um die Anzahl von 50 bis 60 AusbildungsstĂ€tten. Eine vollstĂ€ndige Übersicht ĂŒber Designausbildungen an deutschen Hochschulen allerdings erreichen die Autoren jedoch nicht. Nimmt man die Übersicht aus dem Jahr 2007 fĂŒr Baden-WĂŒrttemberg, so werden dort acht AusbildungsstĂ€tten aufgelistet, mindestens zwei jedoch werden nicht genannt. So bietet die Fachhochschule macromedia in Stuttgart, die auch noch Dependancen in anderen BundeslĂ€ndern hat, das Fach Mediendesign an, die Hochschule fĂŒr Medien hat auf dem Lehrplan Informationsdesign und den Studiengang Design und Marketing. An die Übersicht der LehrstĂ€tten schließen sich Kurzbiographien der im ersten Band besonders herausgestellten Persönlichkeiten, Anmerkungen und ein Personen- und Ortsregister sowie ein Literaturverzeichnis an.

Da alles von Menschen Hervorgebrachte auch der Formgebung bedarf, ist das Anwendungsfeld Design fast unbegrenzt, so dass der Designhistoriker Heinz Hirdina seine Publikation – mit „Am Ende ist alles Design“ betitelte. Viel Design steckt also im Dasein, hier zur Rede stehen aber nur professionell ausgebildete Designer und deren EntwĂŒrfe und Realisationen. Entsprechend der Vielfalt des Arbeitsfelds, das stets interdisziplinĂ€r und integrativ, Handwerk, Technik, Kunst und Wissenschaft verbindend, ausgerichtet ist, so vielfĂ€ltig die Bezeichnungen als Bindestrich-Design. Wir kennen das Fahrzeug-, Grafik-, Informations-, Medien-, Möbel-, Mode-, Schmuck-, Verpackungs- und Webdesign ebenso wie neuerdings das Gamedesign, andererseits blieb es in einigen Bereichen bei herkömmlichen Bezeichnungen ohne Bindestrich-Design wie z.B. beim Typographen, dem Architekten oder dem Kartographen.

Im Durchgang durch Deutschlands AusbildungsstĂ€tten gelang den Autoren eine interessante und spannende Geschichtsschreibung, die die Aspekte einer angewandten Kunst, die im Spannungsfeld von Kunst, Gesellschaft, Wirtschaft und Technologie situiert ist, geschickt verbinden und dazu leicht verstĂ€ndlich schreiben. In einigen Punkten jedoch wĂ€re ein wenig mehr ErlĂ€uterung wichtig gewesen. So ist erklĂ€rungsbedĂŒrftig, weshalb Deutschlands und Englands kunstgewerbliche Erzeugnisse im 19. Jahrhundert im Niveau hinter Frankreich zurĂŒckblieben. Mit Gottfried Sempers Initiativen um die Mitte des 19. Jahrhunderts von London aus, er musste Deutschland wegen seiner Beteiligung am Dresdner Maiaufstand 1849 verlassen, beginnt zunĂ€chst in England, dann auch in Deutschland eine Reform im Kunstgewerbe ĂŒber den Lieblingsenkel von Queen Victoria, den kulturbeflissenen Großherzog Ernst Ludwig, der in Darmstadt die KĂŒnstlerkolonie grĂŒndet und mit Peter Behrens und Joseph Maria Olbrich zwei heute noch bekannte Entwerfer beruft. Da die Publikation ihren Anlass im JubilĂ€um der Mathildenhöhe hat, beginnt jedes Kapitel im ersten Band mit einem EntrĂ©e zu Darmstadt in farblich abgesetztem hellbraun gehaltenen Text, flankiert von einer Chronologie der Ereignisse des behandelten Zeitraums in Darmstadt und anderswo. Dieser Zeitabschnitt wird dann im folgenden Text ausgearbeitet prĂ€sentiert und an dessen Ende kommen Designer und Wissenschaftler zu einem behandelten Aspekt in Form eines Interviews zu Wort. Im ersten Kapitel ist dies Diethart Krebs (*1937), Professor fĂŒr KunstpĂ€dagogik und Kulturgeschichte, der auf Friedrich Schillers Einlassungen zur Ă€sthetischen Erziehung eingeht, ging es darin doch um die Erziehung ‚guter Menschen‘ mittels Kunst und Ästhetik. Abgerundet wird das jeweilige Kapitel mit einem Bildteil. Dieser zeigt mit Design befasste Personen, AusbildungsstĂ€tten und hergestellte Produkte. Sehr schön etwa eine Fotografie der Itten-Schule von 1929 in Berlin oder eine Abbildung mit TapetenentwĂŒrfen der Akademie der Bildenden KĂŒnste von 1957 sowie seltene Aufnahmen aus der Hochschule fĂŒr industrielle Formgestaltung Halle. Dieser Bildteil vermittelt ganz konkret einen Eindruck vom Innenleben der AusbildungsstĂ€tten in Deutschland.

Auf ihrem Weg durch die Geschichte der Designausbildung gelingt es den Autoren durchweg leicht verstĂ€ndlich und spannend zu formulieren, mitunter fördern sie auch kaum Bekanntes zu Tage wie gleich im ersten Kapitel, das der Trendwende vom historisierenden Gestalten Ende des 19. Jahrhunderts zum Jugendstil gilt, der sich am Naturbild orientierte. Bekannt sind die „Kunstformen der Natur“ des Evolutionsbiologen Ernst Haeckel, kaum aber die morphologischen Studien von Christopher Dresser und Moritz Meurer, dessen SchĂŒler Karl Blossfeldt war, von dem die „Urformen der Kunst“ bekannt wurden. BedrĂŒckendes aber schildern die Autoren fĂŒr den Zeitraum von 1933 bis 1945. Wie aus dem soziologischen Lehrbuch gruppiert sich das Designpersonal. Wie ihr Mann, „Der Architekt des FĂŒhrers“ Paul Ludwig Troost, so identifizierte sich auch die Architektin Gerdy Troost mit dem Nationalsozialismus, andere, wie Walter Gropius, gingen ins Ă€ußere Exil. Gropius gehörte wie auch Mies van der Rohe zu den ‚GlĂŒcklichen‘, gelang doch die Flucht, in ihrem Fall in die USA. Rohe leitete die School of Design und Gropius unterrichtete am Black Mountain College. Andere wiederum blieben in Deutschland und mussten sich notdĂŒrftig bis zum Kriegsende durchschlagen. Der nĂ€chste Abschnitt behandelt die Zeit von 1946 bis 1959. Auch im Bereich Design verzögerte sich nach 1945 in Westdeutschland ein umfassender Neustart, wichtige Impulse im Bereich Grafik kommen mit Max Bill und Richard Paul Lohse aus der Schweiz, die in der Tradition der Neuen Sachlichkeit stehen. In Ostdeutschland lĂ€sst sich der niederlĂ€ndische Architekt Mart Stam nieder, der aber als Folge der Formalismus-Debatte die DDR 1953 verlĂ€sst. Zu einem nachhaltigen Aufbruch kommt es in den spĂ€ten 1960er Jahren. Da es an qualifizierten Designabsolventen fehlt, steht eine Reform an, viele orientieren sich an rationalen Methoden, wie sie an der Hochschule fĂŒr Gestaltung in Ulm praktiziert wurde, allein die Schulbehörden verzögern einen Aufbruch und erst 1967 kommen aus Baden-WĂŒrttemberg „die ersten Impulse fĂŒr die Hochschulreform“, so die Autoren. Detailliert zeichnen die Autoren die verschiedenen Ausrichtungen deutscher Designausbildung nach, so stehen in den 1970er Jahren in Westdeutschland semiotische AnsĂ€tze im Mittelpunkt, es bilden sich aber verschiedene Richtungen aus, insgesamt verwissenschaftlicht sich die Designausbildung, die durch die EinfĂŒhrung des Computers nochmals wesentliche Änderungen erfĂ€hrt. Mit dem letzten Kapitel nĂ€hern sich die Autoren der Gegenwart, in der im Zuge der Wiedervereinigung die StudiengĂ€nge fĂŒr Design der DDR auf den PrĂŒfstand gestellt werden, die ein, so die Autoren „bemerkenswert hohes Niveau der Theorie“ mitbringen, ein Feld das zunehmend, herausgefordert durch die Postmoderne, wichtig wird, andererseits aber der Nachwuchs durch stĂ€rkere Verschulung im Zuge der Neuausrichtung der Ausbildungsstrukturen im Bologna-Prozess gerade nicht tiefer gehend in Theorie ausgebildet wird. Die Autoren nennen dies eine „wirtschaftsorientierte Bildungspolitik“.

Insgesamt ist den Autoren ein guter Überblick gelungen, der auch die deutliche UnterreprĂ€sentanz von Frauen sichtbar werden lĂ€sst. Einen der Großen, Helmut Lortz, der von 1959 bis 1986 als Professor fĂŒr experimentelle Grafik an der Hochschule der KĂŒnste in Berlin tĂ€tig war, hĂ€tten die Autoren aber deutlicher herausstellen können, zumal es Lortz war, der nicht nur das Signet der Internationalen Funkausstellung Berlin, entwarf, sondern auch zahlreiche BuchumschlĂ€ge, Plakate und andere Logos und ganze Generationen von SchĂŒlern im Bereich Kommunikationsdesign prĂ€gte. Einer seiner SchĂŒler, Armin Lindauer, gestaltete zu dessen 85. Geburtstag eine Hommage mit der, mit dem Design-Preis „reddot design award 2005“ ausgezeichneten, Publikation „leicht sinnig“, die treffend auf Lortz‘ Motto, des spielerischen, leichtsinnigen Umgangs mit Sprache und Bild aufnimmt. Und es hĂ€tte Lortz ĂŒberaus gefallen wie das Buch Designlehren Ă€ußerlich gestaltet wurde. Damit beide BĂ€nde immer schön zusammen auftreten, wurden in die Buchdeckel, Ă€ußerlich unsichtbar, zwei Magneten als Verbindung eingearbeitet und die Buchstaben des Titels „Design Lehren“ verteilen sich in den VorsatzblĂ€ttern auf beide BĂ€nde.
Sigrid Gaisreiter
Buchholz, Kai /Theinert, Justus: Design lehren. 100 Jahre Gestaltungsausbildung in Deutschland. Unter Mitarbeit von Silke Ihden-Rothkirch. 200 S., 400 fb. Abb. 29 x 22 cm. Gb Arnoldsche, Stuttgart 2007. EUR 39,80
ISBN 3-89790-272-9
 
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