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Hartz IV Moebel - This Chair can change your life

Es ist ja bekannt: in Deutschland wird wahnsinnig viel gute Ware weggeworfen. Ist der Aschenbecher voll, muß das Auto verschrottet werden – zu nichts anderem sind wir (Stichwort Abwrackprämie) als Staatsbürger dieses unseres Landes verpflichtet. Je neuer, brauchbarer und teurer das weggeworfene Produkt, desto größer der patriotische Akt. Das haben wir von den Amerikanern gelernt, von denen wir in der seit 2008 andauernden Systemkrise auch die Abwrackprämie übernommen haben.
So weit, so gut, so deutsch.
Gleichzeitig mit diesen Entwicklungen adaptiert man in Deutschland auch andere Ideen aus Amerika, die man vielleicht vorsichtig mit dem Wort „Anit-kapitalistisch“ bezeichnen könnte. Es ist die Suche nach einer Alternative, ohne deswegen gegen das System vorzugehen. Trotz seiner zunehmend orwellschen Wirkungsmacht ist der Kapitalismus noch immer so grobmaschig gestrickt, dass er vermeintliche Schlupflöcher zulässt. „Urban gardening“ ist dabei ein ganz heißer Trend: Auf städtischen Brachen wachsen nicht mehr Shopping-Malls, sondern Feuerbohnen in die Höhe, zur klammheimlichen Freude derjenigen, die sie gesät haben und sie am Ende ernten.
Zu diesen Pseudo-Guerilleros, die nicht Klassenkampf, sondern Spaß und Selbstdarstellung suchen, muss man wohl auch den Berliner Designer Van Bo Le-Mentzel rechnen, der jüngst ein Bastelbuch namens „Hartz IV Moebel.com“ vorgelegt hat. Darin beschreibt er nicht nur, was man tun muss, um aus einer oder mehreren Holzplatten aus dem Baumarkt elegante, sondern auch, wie man Designklassikern nachempfundene Möbel selbst zimmert. Er beschreibt auch die Philosophie dahinter. Sie ist so einfach (hier steht nicht: banal!), dass sie als neudeutscher Merkspruch auf dem gelben Cover steht: Build more, buy less / Konstruieren statt konsumieren. Durchaus subversiv also – zumindest im Ansatz.
Wer es ernst meint, der kann sich für nur 1400 Euro als Do-it-yourself-Tüftler eine komplette „Hartz IV Moebel“-Collection zusammenhobeln. Mit diesem tollen Preis freilich entlarvt sich die nicht uncharmante Sache selbst: Wer soll sich das leisten? Offensichtlich eine ganz bestimmte Klientel von Berufsschwaben, Muttersöhnchen und Dauer-Prenzlbergern, jener Menschenschlag, der auf den Innenseiten des Büchleins dann auch mit seinen coolen „Hartz IV Moebeln“ abgebildet ist.
Machen wir es kurz: Buch, Idee und Anliegen sind ein Witz – genauer: der Anti-kapitalische Wohlfühlwitz einer bestimmen „In-Group“ von Großstadt-Hipstern. Im Gegensatz zu dem, was noch auf dem Cover steht (This Chair can change your life) wird sich durch diese „Hartz IV Moebel“ gar nichts ändern. Gerade weil es denen, die von nun an zuhause schrauben das Gefühl (eben das falsche Gefühl) vermittelt, sie dokterten an einer Alternative. Doch schon Van Bo Le-Mentzels Ansatz ist falsch. Er ruft nämlich zum Kauf von Rohmaterial auf – obwohl er doch auch dazu auffordern könnte, dieses auf der Straße zu sammeln, wo es weggeworfen wird. Mit herumliegendem Bauholz etwa lassen sich viel kostengünstigere Möbel zusammenzimmern, so anti-konsumistisch, dass man fast von „Hartz V“ sprechen könnte. Dass man das Buch durchblättert und wirklich gleich alles anders machen will: Das ist dieses gedruckten Witzes Pointe. Aber an sie wird Van Bo Le-Mentzel wohl kaum gedacht haben.

07.09.2012
Christian Welzbacher
Hartz IV Möbel. Build more buy less!.Erläuternder Text von Le-Mentzel, Van Bo. Dtsch/Engl. 150 Abb. 19 x 12 cm. Gb. Hatje-Cantz, Ostfildern 2012. EUR 12,90. CHF 18,90
ISBN 978-3-7757-3395-3
 
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