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Spolien in Berlin nach 1945 – Motive und Rezeption der Wiederverwendung von Fragmenten

Spolien in Berlin ?
Ursprünglich Beutestücke, heute allgemein als antike oder mittelalterliche Fragmente verstanden, von Denkmalpflegern auch generell als erkennbar an anderen als den Ursprungsbauten in neuem Kontext verwendet. Diese Definition bestimmt die methodischen Objekt-Kategorien (schön, kultur-historisch, topographisch, ideologisch wichtig), die in dieser überblicksartigen Studie zu recht nicht absolut sondern pragmatisch verstanden werden. Methodenbewußten Kunsthistorikern ein Greuel, bieten sie dem Leser Erkenntnisgewinn durch so offerierte denkmalpflegerische Seitenblicke auf ähnlich genutzte Bauteile.

Offeriert wird dem Leser ein Blick hinter die Kulissen bekannter historischer, besser: historisierend wieder aufgebauter Gebäude wie: Ermeler-Haus und Ephraim-Palais (beide um 1765), 1968-70 und 1985-87 an anderer Stelle und grundlegend verändert errichtet. Und wie Nicolai-Haus (um 1700; um 1975) und das 1968-70 um ein Stockwerk erhöht aufgebaute Kronprinzenpalais mit Spolien aus Originalbauten versehen. Das Liebknecht-Portal vom Berliner Schloß am früheren Staatsrats-Gebäude (1964), historische Legitimation der Existenz der DDR - ein Nachbau mit zehn Prozent Originalteilen. Und der für die drei sowjetischen Ehrenmale (1945-49; und auch den U-Bahnhof Mohrenstraße 1949-50) angeblich genutzte Marmor aus Hitlers Neuer Reichskanzlei – eine zu Hochzeiten sowjetischer Bedrohung West-Berlins dort 1948 und 1960 entstandene Legende. Ernüchterung macht sich breit, Spolien als Legende und materialisierte Form fragmentierter deutscher historischer Kontinuität.

Doch nicht nur das. Die materielle Not jener Jahre zeigt sich an bis Anfang der fünfziger Jahre aus Trümmerziegeln vollständig oder teilweise erbauter Kirchen. Spätere, mit Fragmenten versehen, gehören zu den emotional eindrucksvollsten Beispielen für die Verwendung von Spolien in Berlin nach 1945 (Portal der Synagoge, 1959; Grundmauern der Kapelle der Versöhnung/ Mauerkirche, 2000). Die findet sich seit den achtziger Jahren auch an Wohngebäuden (IBA 1984-87, Townhouses am Auswärtigen Amt, 2000). Und es sind der 1995-2000 spektakulär ins Sony-Center translozierte Kaiser- und aus Fragmenten wieder zusammengesetzte Frühstückssaal (Hotel Esplanade, 1912), an denen hier die so häufig divergierenden Interessen von Architekt, Investor und Denkmalpflegern im Berlin nach 1990 exemplarisch deutlich werden. Mit den zwei ein Gleis tragenden antikisierenden Pendelstützen von Berliner Eisenbahnbrücken (1880-1910; um 1985) findet sich hier das Eingangsportal eines wohlvertrauten Restaurants und einer jener (zu) wenigen Belege für die Verwendung von Spolien aus/an Industrie- und Gewerbebauten.

Aber um Vollständigkeit konnte es in diesem ersten Überblick über Baugeschichte, Provenienz, Nutzung und Rezeptionsgeschichte von Spolien/baulichen Fragmenten in Berlin nach 1945 nicht gehen. Und dieser Überblick, ein Spagat zwischen Kunstgeschichte und Denkmalpflege, ist gelungen. Thematisch-chronologische oder objektorientierte Analysen von Spolien an Bauten vor und nach 1945 müßten nun folgen. Im sich ständig neu ergrabenden, abreißenden und aufbauenden Berlin bietet sich dafür exemplarisch das bis 2018 verändert wieder aufzubauende Berliner Schloß an.

06.01.2014
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Bongiorno, Biagia. Spolien in Berlin nach 1945. Motive und Rezeption der Wiederverwendung von Fragmenten. Berliner Beiträge zur Bauforschung und Denkmalpflege 13. 192 S. 28 x 22 cm. Gb.Imhof Verlag, Petersberg 2013. EUR 39,00. CHF 51,90
ISBN 978-3-86568-738-8   [Michael Imhof]
 
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