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Nachbauten des Heiligen Grabes

Bei der sehr sachkundigen Würzburger Dissertation handelt es sich beileibe nicht um eine kunsthistorische Arbeit. Vielmehr entstand sie im traditionsreichen Würzburger Institut für Volkskunde, was schon zeigt, dass das Schwergewicht der Arbeit nicht unbedingt die Analyse des architektonischen Nachbildungsprozesses bildet, sondern dass es dem Autor darauf ankommt, die Stifter der Anlagen und ihre Intentionen sowie die Einbindung in liturgische Abläufe darzustellen.
Das Heilige Grab, also das Grab Christi, das von Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert in Jerusalem hergestellt wurde, gehört zu wirkmächtigsten Bauten der Kulturgeschichte und zugleich zu den schlechtest dokumentierten. Schon im 11. Jahrhundert, dann wieder im 16. und Anfang des 19. Jahrhunderts wurde es zerstört und immer wieder in ähnlicher Form aufgebaut. Wegen der besonderen Verehrung, die es genoss, und der vielen Pilger, die es anzog, wurden viele bildliche Darstellungen von ihm gemacht, und zahlreiche "Kopien" hergestellt.

Dieses Phänomen der "Kopien" ist so reizvoll, weil mit ihm künstlerische, prozessuale und liturgische Nachbildungsprozesse über viele Jahrhunderte untersucht werden können. Das Korpus der Vergleichsgegenstände ist unwahrscheinlich groß und über ganz Europa verteilt, was einen weiteren Reiz ausmacht. Darin fehlt nur eins: das Original, das immer wieder zerstört wurde.
Der Autor widmet sich einem Teilaspekt der Nachbildungen. Während über die mittelalterlichen Nachbauten bereits einige Literatur existiert, versuchte er erstmals eine Zusammenschau der barocken Bauten, die noch nie unternommen worden ist. Darin liegt schon ein großes Verdienst dieser Arbeit, und dass sie - mit guten Abbildungen ausgestattet - für eine Dissertation großzügig publiziert worden ist.

Nach Rüdiger liegt der Schwerpunkt der Heiliggrabnachbauten des Barock in den Habsburger Landen. Dankbar nimmt man die vielen Abbildungen zu Bauten in Ostmitteleuropa zur Kenntnis, also z. B. in Tschechien, der Slowakei, Polen und Ungarn, alles Länder, die auch heute noch nicht so gut erreichbar und touristisch erschlossen sind wie westeuropäische Länder, und zu denen wenig moderne Literatur existiert. Ob diese Gewichtung so bestehen bleiben kann, erscheint fraglich. Der Autor selbst weist auf verschiedene treibende Kräfte beim Bau der Heiliggrabkapellen hin: Neben den Herrschern waren der Klerus und die Orden und nicht zuletzt das Volk Initiatoren. Wichtige Beispiele liegen eben auch außerhalb der Habsburger Lande. Aber darauf kommt es hier nicht an. Ein erster Weg ist geebnet und der Forschung ein weites Feld aufgetan worden.
Jürgen Krüger
Michael Rüdiger: Nachbauten des Heiligen Grabes von Jerusalem in der Zeit von Gegenreformation und Barock. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte architektonischer Devotionalkopien. 240 S., 105 Abb., 28 cm, Ln, Schnell & Steiner, Regensburg 2003. EUR 64,90
ISBN 3-7954-1600-0   [Schnell & Steiner]
 
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