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Städtebau für Mussolini

Rom, wieder einmal. Aber dieses Rom fehlt in unseren Reiseführern, das Rom der städtebaulichen und architektonischen Prägung durch die Mussolinizeit 1920 bis 1943. Und doch ist gerade dieses Rom jenes so vieler uns vertrauter Perspektiven. Und dieses Buch deshalb architekturhistorisch und visuell ein Lückenschluß in unserer gewohnten Sicht auf und in diese Stadt.

Nicht eben neu sind Städtebau und Architektur als Mittel politischer Machtdemonstration auch im Rom von Antike und Renaissance. In diese Tradition stellt sich Mussolini mit seinem Selbstverständnis als Nachfolger von Augustus. Deshalb läßt er mit der Via dell`Imperio/Via dei Fori Imperiali 1930-32 den von Vespanian Augustus nur zugeschriebenen Bau des Kolosseums mit seinem Regierungssitz an der Piazza Venezia verbinden (wie dann ab 1936 Engelsburg und Vatikan). Auch zuvor und danach finden sich, öffentlich konstant und kontrovers diskutiert, allüberall im Stadtbild auch für eine neue Verkehrsinfrastruktur abgerissene Überbauungen antiker Monumente (Capitol, Trajansmärkte, Circus Maximus, Augustusmausoleum, Marcellus-Theater, Piazza Bocca della Verita, Largo Argentina). Die, heute kaum mehr nachvollziehbar, mit dem nun möglichen direkten Blick auf sie den faschistischen Machtanspruch individuell historisch erfahrbar machen und so legitimieren sollen. Politisch genehmer Nebeneffekt: der Transfer hier konzentrierter sozialer Unterschicht in borgate, ausführlich und überzeugend dokumentierte Schlichtwohnungssiedlungen außerhalb des Stadtzentrums. Gewinner dieser städtebaulichen Konzeption ist die systemstabilisierende Mittelschicht, an die sich (deshalb) bis um 1930 ein institutionalisiertes, architektonisch erstaunlich pluralistisches Angebot von Wohnsiedlungen (villini, palazzini) richtet. Für das die Gartenstadt La Garbatella (ab 1920) auch europäisch beispielhaft steht.

Mit der Unter- und Einordnung egänzender Bauten in das existierende Stadt- und Straßenbild (Krankenhausstadt der Tiberinsel, Casa Madre dei Mutulati, Nordteil der Piazza Navona) erweist sich der städtebaulich-architektonische Kompromiß, von Mussolini häufig gefördert, als weitere zentrale Komponente dieser Zeit. Und der wird erstaunlich rigide praktiziert: das heutige Außenministerium, an Mussolinis Via dell`Imperio als faschistische Machtzentrale Palazzo del Littorio geplant (1933-36), wird als dort zu monumental abgelehnt und kann nur außerhalb des Stadtzentrums gebaut werden (1937-43). Das gilt auch für jene beiden Prestigeobjekte der imperialen Phase nach 1935, an denen sich der faschistische Machtanspruch noch heute so beispielhaft deutich ablesen läßt: den Leitbauten der nicht stattgefundenen Weltausstellung von 1942 (mit dem Palazzo della Civilta Italiana, 1942) und, besonders, dem Sportareal das Foro Mussolini/Foro Italico (1932-38).

Beide aus der vorliegenden Studie extrapolierten zentralen Komponenten des Städtebaus unter Mussolini verweisen auf eine kulturell-politische Diskurskultur in der, anders als in Deutschland besonders nach 1945, Gegenwart und Vergangenheit – unter Mussolini politisch instrumentalisiert – nicht als Bruch, sondern als Einheit begriffen werden. Deutlicher wird dies nach 1945: Im scheinbar heute noch immer nur den Faschismus verherrlichenden Foro Mussolini/Foro Italico folgen nun auf Steinkuben mit faschistischer Phraseologie einige unbeschriftete und danach drei Kuben mit kurz-nüchternen Hinweisen auf die Daten des Endes des Faschismus und der Gründung der Italienischen Republik. Eindrucksvoll distanzierend, nicht aber für einen Autor, der von seinem Selbstverständnis her dem Leser (auch) hier, verhalten, einen architektonisch nicht vollzogenen Bruch Italiens mit seiner faschistischen Vergangenheit suggeriert.
Kritik auch an den nur wenigen eingestreuten Hinweisen zur Herleitung städtebaulich-architektonischer Konzeptionen der Mussolinizeit aus ihrer ideellen Verankerung in der Zeit nach 1871 (Denkmal Emmanuele II., 1872). Ihre Instrumentalisierung nach 1920 hätte ebenso ein kurzes Kapitel verdient wie die einer sich aufklärungsbedingt puristisch verstehenden Archäologie, die nun mit der liberazione (Befreiung) antiker Bauten ungeahnte (durchaus differenzierte) politische Wertschätzung erfährt. Schließlich: Der hier nicht als Ausdruck eines spezifisch italienischen kulturellen Selbstverständnisses und eben deshalb als „schillernd“ resümierte römische Städtebau/Architektur zwischen 1920 und 1943 wäre durch beispielhafte inhaltliche und optische Gegenüberstellungen eindrucksvoller als durch die Redundanz von Inhalten und Abbildungen illustriert worden.
So bleibt zu hoffen, daß der für italienische Reise- und Kunstführer zu Rom selbstverständliche Rekurs auf Städtebau und Architektur dieser Zeit sich mit dieser Studie auch in deutschen Publikationen (häufiger) finden wird. Damit wären dann auch augenscheinliche Berührungsänste abgebaut.

25.10.2013
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Bodenschatz, Harald. Titel Städtebau für Mussolini. Auf dem Weg zu einem neuen Rom. Text: Spiegel, Daniela; Petz, Ursula. 2013. 248 S., 250 Abb., Pb. DOM Publishers, Berlin 2013. EUR 28,00 CHF 38,50
Zweite, gekürzte u. überarbeitete Auflage des 2011 bei DOM Publishers erschienenen Buches von Harald Bodenschatz: „Städtebau für Mussolini. Die Suche nach der neuen Stadt im faschistischen Italien“. ISBN 978-3-86922-186-1
ISBN 978-3-86922-298-1
 
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