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Holidays after the fall. Seaside Architecture and Urbanism in Bulgaria and Croatia

Kaum begann, vor wenigen Wochen, in München der Prozess um den desaströsen Kauf der Hypo Alpe-Adria-Bank durch die Bayern-LB, da erschien in Berlin ein Buch mit dem Titel „Holidays after the fall. Seaside Architecture and Urbanism in Bulgaria and Croatia“. Dem Außenstehenden mag die Verbindung kaum bewusst sein. Gleichwohl hat das Eine mit dem Anderen viel zu tun. Denn die Hypo Alpe-Adria, einst Landesbank des österreichischen Bundeslandes Kärnten, war in den 1990er Jahren wichtiges Instrument zur Privatisierung des kroatischen Küstengebietes, also jenes Territoriums, auf das „Holiday after the fall“ seinen Fokus richtet.
Das Buch ist nicht nur gut lesbar und flott gestaltet, sondern bietet durch seine vergleichende Perspektive reichlich Stoff zum Nachdenken. Vergleichend dabei nicht allein zwischen Bulgarien und Kroatien, deren Ferienlandschaften beide im Zuge des Staatssozialismus seit den 1950er Jahren kontinuierlich ausgebaut und – einmal trotz Blockbindung, einmal durch Blockfreiheit – mit dem westeuropäischen Tourismusmarkt direkt verknüpft waren. (Nicht, dass mein Interesse dadurch angestachelt worden wäre: aber ich verrate nicht zuviel, wenn ich sage: die Hochzeitsreise meiner Eltern führte 1969 an die bulgarische Goldküste (übrigens für die beiden Frischvermählten eine vergleichsweise enttäuschende Erfahrung)).
Vergleichend auch, da das einleitende Kapitel einen Überblick zur Tourismusindustrie im 20. Jahrhundert bietet – vom Massentourismus im Totalitarismus bis zum Pauschaltourismus der Nachkriegszeit – und damit auch die urbanistische Erschließung der europäischen Küsten Revue passieren lässt.
Erstaunliches offenbart sich dabei dem Leser durch die detailgenaue Analyse der Autoren: Gerade die staatliche Planung in Osteuropa sorgte für städtebaulich kompakte Anlagen, die Naturschutz, Freizeitvergnügen und Interesse an Devisen miteinander in ein ausgewogenes Verhältnis brachten.
Genau dieses Gleichgewicht ist seit dem politischen Umbruch – der auch eine geistig-moralische Wende war – empfindlich gestört. Privatisierung, Wildwuchs, Zerstörung, Geschmacklosigkeit prägen den zweiten Teil des vorliegenden Bandes, der sich mit den Entwicklungen des Ferienwesens seit 1990 befasst und dabei Gruseliges zutage fördert.
In Bulgarien hat man es dabei mit Entstaatlichung und Korruption, beispielsweise in Form von russischen Bauherren, die mit Appartmentkomplexen, deren Wohnungen an Ferienwütige verkauft werden sollen, nicht nur für einen überhitzten Immobilienmarkt, sondern auch für architektonische Umweltverschmutzung gesorgt haben. Die Entwicklung gipfelte in der Entweihung eines Naturparks, gegen die sich vor wenigen Jahren erfolgreich Bürgerprotest formiert hat, der auf juristischem Wege unter anderem für Sanktionen aus Brüssel sorgen konnte. Ein Sieg für die sich neu formierende Zivilgesellschaft, und damit für viele Bulgaren eine neue, wichtige Erfahrung. Denn von Seiten des bulgarischen Staates war ein Einlenken nicht vorgesehen.
Im Zusammenhang mit Kroatien taucht dann jene Kärtner Landesbank auf, die unter Führung des Neo-Nazi-Politikers Jörg Haider dafür sorgte, dass dubiose Millionengeschäfte mit der Privatisierung der Küstenlandschaft (etwa der Verkauf einst militärischer Übungsgelände) reibungslos vonstatten gingen. Die Spekulationsblase, aufgepumpt durch mehrfachen enorm schnellen Weiterverkauf von Grundstücken, war bereits kurz vor der Explosion, als die Bayern LB die Bank übernahm. Fraglos hätte eine genauere Prüfung des Portfolios dieser Bank durch den Bayern-LB-Aufsichtsrat die Gefahren offenbart. Interessanterweise werden diese Hintergründe bei der Berichterstattung nur selten offengelegt, Norbert Mappes-Niediek jedenfalls, einen der profiliertesten Kenner balkanischer Verflechtungen (jeglicher Art), legt im vorliegenden Band die Gründe für das spätere Desaster offen.
„Holidays after the fall“: eine mustergültige, lesenswerte, angenehm leichte Lektüre, die viele Erkenntnisse auch für denjenigen Leser bereithält, der bisher die Küsten Bulgariens oder Kroatiens noch nicht besucht hat.

29.08.2013
Christian Welzbacher
Holidays after the Fall. Seaside Architecture and Urbanism in Bulgaria and Croatia. Hrsg.: Zinganell, Michael; Beyer, Elke; Hagemann, Anke; Tracing Spaces; Foto(s) von Mihov, Nikola; Thaler, Wolfgang. Engl. 272 S. zahlr. fb. und s/w Abb. und Pläne. 24 x 17 cm. Pb. Jovis Verlag, Berlin 2013. EUR 29,80. CHF 40,90
ISBN 978-3-86859-226-9
 
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