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Die Architektenausbildung um 1700

Vor knapp hundert Jahren legte der Kunsthistoriker Max Hauttmann zum Kurbayerischen Architekten Joseph Effner die erste monographische Studie vor, die bis heute die Einzige bleiben sollte. Was überrascht, denn schon bei Hauttmann wurde deutlich, dass Effner nicht allein als Architekt interessant ist, sondern dass seine Biographie als Beispiel eines geglückten Kulturtransfers gelesen werden kann. Hauttmann reagierte darauf, indem er nicht nur den Architekten, sondern auch weitere Hofkünstler um 1715 untersuchte, die allesamt in der Herzog-Max-Burg lebten und mit dem in Frankreich im Exil lebenden und ab 1714 wieder eingesetzten Kurfürsten Maximillian Emanuel von Bayern nach München kamen. Martin Pozsgai setzt nun in der zweiten großen Studie zu Joseph Effner den Schwerpunkt anders: Er untersucht vor allem das Verhältnis des französischen Architekten Germain Boffrand zu seinem Schüler Effner. Dabei zielt er darauf, französische Elemente der effnerschen Innenarchitektur sowie Übernahmen von Effner im Bereich der Architektenausbildung und Büroorganisation am Münchner Hof aufzudecken. Dies alles wird vorgenommen an einem Gegenstand, der in der Kunstgeschichte lange keine rechte Relevanz mehr entfalten konnte: der Innendekoration, deren Entwicklung stilgeschichtlich überladen schien.

Pozsgais Blick auf die Innendekoration ist fokussiert. Er untersucht allein das Verhältnis zwischen Boffrand und Effner. Übernahmen Boffrandscher Raumfindungen in der Innenraumdekoration werden zunächst an den Bauten Dachau und Nymphenburg erläutert. In Schleißheim kann Pozsgai eine eigenständige Weiterentwicklung des Boffrandscher Formenrepertoirs durch Joseph Effner beschreiben, die sich vor allem in einem „mehr“ an Stuckdekoration und Plastizität äußert. Dabei kommt auch die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern und Handwerkern zur Sprache, wie zum Beispiel mit dem Stuckateur Johann Baptist Zimmermann, um Effners umfassenden Entwurfstechnik vorzustellen. Von besonderem Interesse ist dabei die in der Forschung bisher noch nicht weiter gewürdigte Arbeit des Kistlers (Schreinermeisters) Johann Adam Pichler, der wie Effner in Frankreich ausgebildet wurde und am bayerischen Hof eine große Werkstatt unterhielt. Auch Pichler arbeitete nach Vorgaben Effners.

Neben diesem deskriptiven Teil der Arbeit gibt es eine Reihe von Kapiteln, die auf Archivmaterial aufbauen. Sie fokussieren vor allem die Lehrjahre des Architekten in Frankreich und den Kurfürsten Max Emanuel als Politiker und Mäzen. Bei dem Thema der Architektenausbildung fehlen dabei häufig konkrete historische Hinweise, so dass Martin Pozsgai andere Architektenausbildungen heranziehen muss, um die Lehrjahre Effners zu beschreiben. Dem Zeichnen kommt dabei nach Pozsgai eine ungemein wichtige Rolle zu. Bei der Beschreibung des Kurfürsten als Mäzen steht es mit den historischen Dokumente konträr: Hier kann Pozgai, indem er den umfangreichen Briefwechsel des Kurfürsten durchsuchte, die bekanntermaßen wichtige Rolle der Mätresse des Kurfürsten, Gräfin von Arco, archivarisch fundiert vorstellen. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Darstellung der Verbindungen zum Kunstmarkt, die bisher von der deutschen Kunstgeschichte nur wenig berücksichtigt wurde.

Pozsgai schafft es also in seiner Studie einen weiten Fächer aufzuschlagen, der das eigentliche Thema Germain Boffrand und Joseph Effner immer wieder verlässt, um angrenzende Themenkomplexe vorzustellen. So wird ein gesamtes Kapitel Joseph Clemens, dem Bruder des Kurfürsten gewidmet. Die Korrespondenz des Fürstbischofs mit dem französischen Hofarchitekten Robert de Cotte wird unter dem Vorzeichen der Wichtigkeit der Innenarchitektur vorgestellt. Es ist erstaunlich, wie genau die Vorstellungen des Fürsten zu Materialien, Dekorationselementen und Raumfunktionen waren. Am Ende der Lektüre ist der Leser überzeugt, dass die Raumausstattung nicht nur im ästhetischen Sinn, sondern auch unter sozialgeschichtlichen Aspekten eine wichtige Rolle einnimmt.

Doch was dem Gegenstand der Innendekoration zu Gute kommt, verträgt die Figur Joseph Effner nicht. Während Hauttmann Effner noch als Wegbereiter des Rokoko in Bayern würdigen kann, erscheint Effners Arbeit bei Pozsgai als die eines fähigen Zeichners, guten Bauaufsehers und im Rahmen von Vorlagen kreativ Schaffenden: eines dem Wesen nach abhängigen Künstlers. Joseph Effner rückt damit in seiner neusten Darstellung in die Nähe eines Architekten vom Format Guillaume Hauberats in Köln, der als ausführende Hand aus dem Baubüro Robert de Cottes gilt und im ständigen Briefwechsel mit seinem Vorgesetzten steht. Eine solche Abhängigkeit gibt es bei Effner zwar nicht direkt. Aber die lesenswerte Studie Martin Pozsgais wirft eine relevante Grundsatzfrage auf: Was genau war nun Effners eigenständige Leistung?

14.1.2013
Vera Herzog
Pozsgai, Martin. Germain Boffrand und Joseph Effner. Die Architektenausbildung um 1700 am Beispiel der Innendekoration. 296 S. 200 fb. Abb. 27 x 21 cm. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2011. Gb. EUR 58,00. CHF 77,90
ISBN 978-3-7861-2661-4   [Gebr. Mann Verlag]
 
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