KunstbuchAnzeiger - Kunst, Architektur, Fotografie, Design Anzeige Verlag Langewiesche Königstein | Blaue Bücher
[Home] [Architektur] [Rezensionen] [Druckansicht]
Themen
Recherche
Service

[zurück]

Leben am Kurfürstendamm

Wenn Sie wieder nach Berlin kommen und den Kurfürstendamm entlang schlendern, dann sollten Sie das Buch „Leben am Kurfürstendamm“ gelesen haben. Im Mittelpunkt des Buches stehen die Mietshäuser Nummer 48-50. Ihre Geschichte, das Umfeld, das politische und kulturelle Geschehen gliedert Dorothea Zöbl in fünf Kapitel. Die ersten Kapitel beschreiben die Entstehung der Prachtstraße, als der Knüppeldamm nach Charlottenburg dem Kaiserlichen Establishment geeignet schien, der Metropole neuen Glanz zu verleihen, gepaart mit hohen wirtschaftlichen Erwartungen und durchgeführt mit großem patriotischem Enthusiasmus.
Der Heidelberger Bauherr der Häuser 48-50, Heinrich Munk, setzte um die Jahrhundertwende angesichts rasant steigender Bevölkerungszahlen auf eine Nachfrage nach höchstem Wohnkomfort, umbaut im Zeitgeschmack repräsentativer Neorenaissance.

1925 gestaltete Hermann Muthesius die Fassade gründlich um. Von den Erkern, Loggien, Säulen, Rundbogen, Wandpfeilern, Dreiecksgiebeln und Dachaufbauten aus dem historisierenden Formenrepertoire blieb nicht alles erhalten, nachdem der Architekt Rupert Stuhlemmer in den 1980er Jahren den Bestand noch einmal restauriert hatte. Schon Jahre zuvor verschwanden unter der Last des zunehmenden Straßenverkehrs und ausladender Geschäftsräume die einst ländlichen Vorgärten.
Die palastartigen Wohnungen, Remisen, Treppenhäuser und Wohnungen für das Personal wurden in den 1920er Jahren zu kleineren Mietwohnungen umgebaut. Die Eigentümer wechselten ständig, ebenso wie die Mieter. Dennoch blieben der Kurfürstendamm und die Häuser 48-50 bis 1933 eine gefragte Adresse für nationale und internationale Intelektuelle und Kulturschaffende.

1933 war es am Kurfürstendamm mit der Toleranz vorbei. Die Nationalsozialisten vereinnahmten die von ihnen als „Hassmeile“ bezeichnete Paradestraße.
Zwischen 1933 und 1945 erfolgte durch die Nationalsozialisten die „Arisierung“ des Quartiers und die Vertreibung unliebsamer Bewohner und Eigentümer.
In den Jahren nach 1945 wurde der Kurfürstendamm zum "Schaufenster des Westens", nachdem sich zuvor zwielichtige Gestalten und Prostituierte in den mühsam hergerichteten Ruinen der einstigen Prachtstraße niedergelassen hatten. Mit US-Geldern unterstützt, richtete man das Warenangebots neu aus, besonders die Modebranche war nun gefragt. Auch das kulturelle Angebot erweiterte sich, unter anderem startete das Berliner Filmfestival. Der Kurfürstendamm wurde zum „Wirtschaftsstandort“ schlechthin. Das nutzten besonders die Amerikaner, die 1961 am Kurfürstendamm ihre Truppenparade abhielten. Was unter anderem wiederum die 1968er Bewegung bewog, sich in einer Art Gegenwehr im Quartier Kurfürstendamm niederzulassen. Die Demonstrationszüge und Revolten entlang der „Hassmeile“ gingen in die Geschichtsbücher ein und gipfelten 1967/68 in dem Tod von Benno Ohnesorg und im Angriff auf Rudi Dutschke.

Dorothea Zöbls Buch trägt zurecht den Titel „Leben“ am Kurfürstendamm 48-50. Unter Verwendung zahlreicher Dokumente, Fotos, Zeitzeugenberichte und Zitaten ist ihr ein spannendes Buch zu einer bewegten Epoche gelungen.
Eine verblüffend unterhaltsam und informativ geschriebene Zeitgeschichte zweier Häuser in der berühmtesten Straße Berlins, die zur Ergänzung oder als Ersatz für manch langweiliges Geschichtsbuch bestens geeignet ist.
In diesem Buch entstehen Bilder im Kopf, die nachhaltig wirken!

5.8.2012
Gabriele Klempert
Zöbl, Dorothea. Leben am Kurfürstendamm. 100 Jahre Geschichte und Geschichten um die Mietshäuser Kurfürstendamm 48–50. Hrsg.: Bröhan, Margrit. 248 S., 121 meist fb. Abb. 24 x 17 cm, Gb. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2011. EUR 39,00 CHF 55,90
ISBN 978-3-7861-2641-6   [Gebr. Mann Verlag]
 
© 2003 Verlag Langewiesche [Impressum] [Nutzungsbedingungen]