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Ulrich Müther - Schalenbauten

Schon der Untertitel verweist auf ein Desiderat: es sind nur Ulrich Müthers (1934 – 2007) Bauten in Mecklenburg-Vorpommern, die in diesem handlichen, übersichtlich strukturierten und informativ illustrierten Architekturführer vorgestellt werden, der auch als Architektur-Reiseführer genutzt werden kann. Beim näheren Hinsehen erweist er sich als Zeitreise zurück in die Ingenieur- und Architektenperiode des Schalenbaus zwischen 1963 und 1987, bei dem hyperbolische Formen konstruktiv und optisch dominieren. Assoziationen an die Berliner Philharmonie (Scharoun 1960-63) und Kongresshalle (Stubbins 1956-58) werden geweckt und hier scheint auch jener uns von zeitgenössischen Plakaten und Choreographien bekannte expressionistisch-konstruktivistische Formenkanon der Zwanziger Jahren auf, in denen diese ersten Schalenbauten nicht nur in Deutschland entstanden.

Möglich geworden durch damals erstmals verwendete (und hier kurz beschriebene) Baumaterialien und Baumethoden, erlebte der Beton-Schalenbau in der Bundesrepublik der Fünfziger Jahre eine kurze Blüte. In der DDR kreierte der experimentierfreudige Sohn einer Rüganer Bauunternehmersfamilie, orientiert auch an mexikanischen Vorbildern der Dreißigerjahre, mit solch beispielhaft-demonstrativen Zweckbauten (Gaststätten, Sporthallen, Rettungsstationen, aber auch Kirchen) eine Aura von Experiment und (Welt-)Offenheit und so zugleich einen Gegenpol zum allgegenwärtigen Plattenbau. Aber auch Müthers Bauten in der DDR, das zeigt sich in diesem Buch, sind oft keine architektonischen Solitäre, wurden sie doch häufig als Prototypen für die Serienfertigung geplant oder realisiert. Ihr heutiger Zustand ist, im (üblichen) Spektrum von gelungener Sanierung bis zum provozierten Verfall oder Abriss, ausführlich und gut dokumentiert; eindrucksvollstes Negativbeispiel dafür ist Müthers im Jahr 2000 in Berlin zerstörtes „Ahornblatt“:
Bauten wie dieser, abgebildet auch auf einer DDR-Briefmarke von 1970, konnten durch die bewusst gewählte regionale Beschränkung hier nicht angemessen beschrieben werden, auch ihr Vergleich miteinander ist erschwert. Ein zweites Bändchen mit allen hier (verständlicherweise) fehlenden Schalenbauten Müthers, insgesamt sind es ungefähr 60, wäre deshalb hochwillkommen. So ließe sich dieser solitäre Bauingenieur-Architekt anschaulich-überzeugender in die DDR-spezifische, gesamtdeutsche und internationale Architekturgeschichte (einige seiner Bauten entstanden auch im Ausland) einordnen. Und damit wäre auch der Weg zu einem noch ausstehenden Werkverzeichnis ebener, vielleicht sogar geebnet. Gewonnen hätten dann und dabei: viele Neugierige auf und vor Müthers Bauten, alle Architekturinteressierten, ein Verlag an Reputation – und Ulrich Müther.

27. 5. 2011
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Lämmler, Rahel: Ulrich Müther. Schalenbauten. in Mecklenburg-Vorpommern. 96 S., 30 fb. Abb. 16 x 13 cm. Pb Niggli Verlag, Sulgen 2008. EUR 20,00
ISBN 978-3-7212-0662-3
 
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